Berufsziel: Keine Ahnung

Berufsziel: Keine Ahnung

aus: FOCUS Schule, Mai 2010

Familienthema Berufswahl: Wie Schüler ihren Traumjob finden

Monika Thaler, 18, wird im Sommer ein gutes bis sehr gutes Abitur ablegen. Ihre Eltern, beide Ingenieure, beschreiben Monika als unkompliziert, verantwortungsbewusst und hilfsbereit. Konkrete Berufsvorstellungen hat die Münchnerin noch nicht. Sie wünscht sich nur, dass der Job "abwechslungsreich und anspruchsvoll" sein sollte.

Lotsin zum Traumjob

Uta Glaubitz, 44, ist Expertin für "individuelle Berufsfindung". Die studierte Philosophin zeigt Menschen, die mit ihrem erlernten Beruf unglücklich sind, Alternativen auf. Jugendliche berät sie bei der Berufswahl. Neben Einzelgesprächen bietet sie auch Seminare an. Ihr Buch "Der Job, der zu rnir passt" ist im Campus-Verlag erschienen.

Ballerina und Lokführer waren gestern. Wenn es ernst wird mit der Berufswahl, wissen die wenigsten Jugendlichen, wohin die Reise geht. Wir schickten eine unentschlossene Abiturientin zu einer hochkarätigen Beraterin und beobachteten, wie diese der Schülerin auf die Sprünge half. Ein Gesprächsmodell, das Eltern ratloser Teenager helfen könnte.

Sie trudeln nacheinander ein: erst Monika (zart, ungeschminkt, schüchtern) dann - mit beneidenswerter Präsenz - Uta Glaubitz. Die Frau weiß, was sie will. Ihr Ehrgeiz heute: die Schülerin Monika zu einem Berufswunsch bringen - egal, wie lange es dauert und wie viel Kraft es kostet.

Wenige Zeitgenossen sind mit einem Ausnahmetalent oder einer Leidenschaft für eine bestimmte Sache gesegnet, die ihnen die Berufswahl leichter macht. Sie haben schon immer gewusst: Ich werde mal Geiger, Schauspieler, Mechatroniker. Monika (patent, vielseitig interessiert) gehört zu der Mehrheit, für die alle möglichen Berufe in Frage kommen. Wo die Auswahl groß ist, fällt die Entscheidung schwer. Umso mehr, wenn man ein ernsthafter Mensch ist, besonnen und vielleicht etwas zaghaft.

Die Expertin nimmt ihr Gegenüber freundlich ins Visier und fragt nach Leistungskursen, Lieblingsfächern - und ist einen kurzen Moment lang auf der falschen Fährte. Monika erwähnt, die höchste Punktzahl habe sie in katholischer Religionslehre. Auf Nachfrage bekennt sie, Religion sei "ihr wichtig". Die Augen von Uta Glaubitz blitzen: ist das schon der Hebel, an dem sie ansetzen kann? Sind hier Interesse und Motivation so stark, dass sich daraus womöglich berufliche Ziele entwickeln lassen? Nein, so schnell geht es nicht. Traditionelle Berufsberater beschäftigen sich gem mit der Frage, welche Jobs in Zukunft gebraucht werden, und wägen ab, in welchem Bereich der Ratsuchende wohl die besten Chancen hätte. Was der Markt gerade sucht, interessiert Uta Glaubitz dagegen bei der Berufsfindung nicht die Bohne. Sie will von einem Klienten wissen: Wo liegen seine Stärken? Was lässt ihn morgens gem aufstehen? Wofür brennt er? "Ein Beruf kostet viel Energie", sagt Glaubitz, "deshalb ist es so wichtig, dass man ihn mit Freude macht, denn nur so bekommt man auch eine Menge Energie zurück."

Nicht jeder weiß, wofür er brennt. Schon gar nicht, wenn er noch jung ist. Manch einer bemerkt seine Flamme nie. Glaubitz lässt nicht locker. Sie fragt, ob die Schülerin mal einen Menschen getroffen oder im Fernsehen gesehen habe, dessen Job sie "cool" findet. "Ja", lautet die prompte, ungewöhnlich lebhafte Antwort, "die Leute, die immer nach Wahlen erklären, wer, wie, warum so gewählt hat".

Stunden später wird Monika aufgelistet haben, was sie gut kann, in welchen Situationen sie stolz auf sich war, was sie früher mal werden wollte, was sie tun würde, wenn sie nicht scheitern könnte und wobei sie "ungeahnte Aktivität" entwickelt hat. Aut einer Flip-Chart stehen Berufe, die Frau Glaubitz aus dem Gesagten und Notierten gleichsam extrahiert hat: Dokumentarfilmerin, Tierpflegerin, Verhaltensforscherin, lnnenarchitektin, Kieferorthopädin, Lehrerin, Zoodirektorin, Sozialministerin, Wahlforscherin, Grafikdesignerin, Politikberaterin, Leiterin einer Zirkusschule. Bevor sich Monika für einen Beruf entscheiden muss, verrät Beraterin Glaubitz, in welchem Beruf sie die Schülerin sieht.

Ihre Favoriten für Monika sind: 1. Wahlforscherin, 2. Lehrerin. Für Wahlforschung spreche Monikas spontane, starke Reaktion auf den Beruf sowie ihr ernsthaftes Interesse an Politik, Sozialwissenschaften und Geschichte. Als Lehrerin könnte Monika ihre Begeisterung für Themen aus diesen Bereichen vermitteln und dabei ihre Begabung für den Umgang mit Kindern nützen. Monika gibt erfolgreich Nachhilfestunden und engagiert sich als Assistentin des Lehrers in der Jonglier-AG.

Und Monika? Zögert. Kinder zu unterrichten scheint ihr wenig verlockend. ("Da macht man jahrelang das Gleiche"). Der Gedanke, in die Wahlforschung zu gehen, gefällt ihr am besten. Aber: Politikwissenschaft ist ein begehrtes Studienfach, und vielerorts gibt es Eignungsfeststellungsverfahren. "Das schaffen Sie doch", sagt Uta Glaubitz. "Sie haben Ihren Mitbewerbern etwas Unschätzbares voraus: Sie wissen bereits, wo Sie einmal hinwollen." Dann gibt Uta Glaubitz ihrem Schützling noch ein paar Tipps mit auf den Weg. Fachliteratur besorgen, in einem Marktforschungs-Institut jobben und sich demnächst an der Uni um eine Seminararbeit bemühen, für die sie mit den führenden Wahlforschern schon mal Kontakt aufnehmen muss. Beim Abschied wirkt Monika erleichtert und zufrieden. Am nächsten Tag ist sie wieder unsicher.

Mutter Barbara Thaler zumindest ist zuversichtlich: "Wahlforscherin? Ja. das passt genau!"

CLAUDIA JACOBS

Wie Eltern helfen können und was sie besser lassen

Berufsziel: Keine Ahnung - Uta Glaubitz Focus Schule

Berufsberater Nummer eins sind und bleiben die Eltern. Doch Vorsicht: oft sind bei ihnen Statuswünsche mit im Spiel. Wer wäre nicht gern Mutter einer Staatsanwältin?

Häufig drängen wir unsere Kinder zudem zu Karrieren, die wir selbst gern gemacht hätten.

Wer seinen Beruf mit Leidenschaft ausübt, wird dagegen den Nachwuchs im Zweifelsfall in die eigene Spur bugsieren. So oder so: unsere Vorschläge werden bei unseren Kindern selten mit Begeisterung angenommen. Uta Glaubitz rät Eltern, sich in die konkrete Berufsfindung ihrer Kinder möglichst nicht einzumischen. Was junge Menschen, die ihr Ziel noch nicht kennen, stattdessen brauchen, ist unser Verständnis. In der Orientierungsphase sind Selbstzweifel und schlechte Laune normal. Rumhängen und Nichtstun sollten Eltern jedoch auf Dauer nicht tolerieren. Um eine Entscheidung müssen sich Jugendliche selbst aktiv bemühen, da mit "Eingebungen" leider nicht zu rechnen ist. Oft hofft man, ein soziales Jahr, eine Weltreise oder die Arbeit als Au-pair im Ausland könne der Berufsfindung dienen.

"Ein Irrtum", sagt Uta Glaubitz. Sie setzt naturgemäß eher auf eine professionelle Berufsberatung. Manchmal mag es allerdings schon reichen, wenn wir einen lebensklugen, patenten Menschen aus unserem Bekanntenkreis um Mithilfe bitten. Vielleicht kann er im Gespräch mit Tochter oder Sohn herausfinden: Was kann das Kind? Was mag es? Und: welcher Beruf passt dazu?