Anders rein?

Anders rein?

aus: Audimax, April 2003

Individuelle Berufsfindung: Was kann ich eigentlich?

Anders rein in den Job? Bei seiner Berufsplanung fragt sich jeder: »Was muss ich können?« Uta Glaubitz, renommierte Berufsberaterin, setzt ganz anders an. Sie geht nicht vom Arbeitsmarkt aus, in dem sich der Arbeitsuchende einzufügen hat, sondern umgekehrt: Vom Arbeitsuchenden. Der soll sich fragen: »Was kann ich eigentlich Besonderes?« und diese Fähigkeit mit Engagement nach vorne treiben.

Frau Glaubitz, inwiefern hebt sich Ihre in Workshops und im Buch vermittelte Form von Berufsfindung von der »normalen« Berufsberatung ab?

Bei mir geht es darum herauszufinden, was man mit seinem Leben (beruflich) anstellen will. Es geht um Spaß und Motivation. Die normale Berufsberatung dagegen handelt eher davon, in welchen Feldern in Zukunft Stellenangebote zu vermuten sind. Das ist eigentlich Kaffeesatzleserei und außerdem frustrierend. Oder es geht darum, welche Weiterbildungen gerade angeboten werden oder was man mit welchem Abiturdurchschnitt studieren kann. Manchmal geht es auch darum, wie man möglichst geschickt den Personalchef für sich einnimmt und dann jedes Jahr ein Stückchen aufsteigt. Das interessiert mich nicht.

Sie gehen davon aus, dass jeder aufgrund seiner Interessen und Fähigkeiten ein Tätigkeitsfeld finden kann, das optimal zu ihm passt – zur Not wird eben eine Art neuer Beruf geschaffen. Was ist dabei mit dem Prinzip Angebot und Nachfrage – kann man wirklich immer so einfach ein Tätigkeitsfeld schaffen oder ein Projekt aus dem Boden stampfen, welches auch gebraucht wird oder Sinn ergibt?

Alles gibt es irgendwann zum ersten Mal: die erste Fußreflexzonenmassage, den ersten Harry-Potter-Band, die ersten Inlineskates, das erste Chanel No. 5. Das alles ist nicht aus der Kalkulation von Angebot und Nachfrage entstanden, sondern weil jemand mit Spaß und Leidenschaft bei der Sache war. Wenn Sie mich aber fragen, ob das »immer so einfach« ist: Es ist nicht einfach, sondern kostet viel Einsatz und Energie. Daher ist es umso wichtiger, ein Tätigkeitsfeld zu finden, in dem die Leute von sich aus motiviert sind. Sonst kriegt man schnell ein Magengeschwür.

Angenommen, ein Workshop-Teilnehmer hat für sich den passenden Beruf gefunden – und findet aber in der entsprechenden Branche aufgrund der Arbeitsmarktlage einfach keine Stelle. Wie geht's dann weiter?

Es gibt keine Branche, in der es dauerhaft keine Stellen gibt. In jeder Branche, in jedem Unternehmen gibt es Fluktuation: Mitarbeiter bekommen anderswo einen besseren Job, oder verstehen sich nicht mit dem Chef, oder wandern aus, werden schwanger und so weiter. Außerdem werden Unternehmen konstant umgebaut. Und für neue Projekte braucht man immer auch neue Leute. Gerade in schlechten Zeiten sind Ideen und Einsatzbereitschaft gefragt, um den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen.

All Ihre Tipps verlangen nach einem hohen Maß an Eigeninitiative und evtl. auch nach finanziellen Möglichkeiten (z. B. eine Ausstellung organisieren kostet in der Regel Geld ...). Wie soll der oder die Berufsuchende all das aufbringen?

Ohne Initiative kann man auf dem Arbeitsmarkt leider nichts Tolles erreichen. Deswegen spreche ich mit den Leuten darüber, wofür sie sich einsetzen wollen, was sie motiviert und was ihnen Spaß macht. Dann ist Initiative ganz selbstverständlich. Und zu den Kosten: Wer für seine Ausstellung Geld braucht, sollte sich überlegen, wie er welches beschaffen kann, zum Beispiel durch Sponsoring. Schließlich wird er auch in seinem zukünftigen Job immer wieder vor der Aufgabe stehen, Ausstellungen zu finanzieren. Je früher man anfängt, Erfahrungen damit zu sammeln, umso besser. Im Vorstellungsgespräch macht es sich besonders gut, wenn man ausführlich über die gelungene Finanzierung seiner ersten Ausstellung berichten kann.

Ihre Tipps sind meist für mutige bzw. extrovertierte Menschen. Sie äußern in Ihrem Buch Sätze wie: »Knüpfen Sie Kontakte! Organisieren Sie ein Straßenfest!« Solche Äußerungen setzen voraus, dass Sie einen sehr von sich überzeugten Menschen vor sich haben. Was, wenn das nicht der Fall ist? Wenn die Person Schwierigkeiten hat, auf andere zuzugehen? Klingt das nicht alles ein bisschen leichter, als es in der Regel ist?

In der Realität ist es immer leichter (nicht schwerer!!) als man vorher gedacht hat. Zum anderen: Wer nicht auf andere zugehen kann, wird in jedem Beruf auf Schwierigkeiten stoßen, außer vielleicht als Labor-Assistent. Daher ist es wichtig zu überlegen, wie man in dieser Sache Land gewinnen kann, zum Beispiel durch Kommunikationstraining, eine Weltreise oder ein neues Hobby, das viel Kommunikation erfordert. Da führt leider kein Weg dran vorbei. Ein Gedanke hilft: Wer seine Sache liebt, tut sich leichter mit Gleichgesinnten zu kommunizieren.

Kann man sagen, dass Ihr Buch und Workshops für die Leute geeignet sind, die richtig glücklich werden oder aufgehen wollen in ihrem Berufsleben? Für welche Art von Berufsuchenden ist Ihr Workshop NICHT geeignet?

Mein Buch richtet sich an alle, die ihr Leben mit sinnvollen Dingen verbringen wollen. Der Workshop Berufsorientierung ist nicht für Leute geeignet, die hauptsächlich jammern wollen oder die erwarten, dass andere für sie die Entscheidung fällen.

Wie hoch ist die »Erfolgsquote« Ihrer Workshop-Teilnehmer?

Ich lasse die Teilnehmer erst gehen, wenn wir für jeden einen Plan erarbeitet haben. Insofern liegt die Erfolgsquote im Seminar bei 100 Prozent. Die Umsetzung des Plans hängt dann allerdings von vielen Faktoren ab, beispielsweise ob die Leute von ihrem Umfeld unterstützt werden oder nicht. Insgesamt kann man sagen: von 4 Leuten, die kommen, geht einer los und verändert innerhalb von wenigen Monaten sein Leben. Der Zweite geht nach Hause und überlegt sich 125 Gründe, warum das niemals klappen wird. Und die restlichen zwei verfolgen eine Zwei-Schritte-vor-ein-Schritt-zurück-Taktik.

Das Interview führte VANESSA HARTMANN