Beruf und Karriere: Alles auf Anfang

Beruf und Karriere: Alles auf Anfang

aus: Süddeutsche Zeitung, 11. Dezember 2010

Ein sicherer Job mit Urlaubsanspruch und Weihnachtsgeld? Es gibt Menschen, denen das nicht reicht. Sie wollen vor allem eine Arbeit, die Spaß macht. Und daher wechseln sie nochmals - mitten im Berufsleben. Uta Glaubitz stellt sechs Wagemutige vor, die den Schalter umgelegt haben, um neu durchzustarten.

Letztes Jahr noch in der Wirtschaftskrise, steuert das Land stramm auf die Vollbeschäftigung zu. Wer in der richtigen Branche arbeitet und eine gute Qualifikation mitbringt, kann sich jetzt auf die Suche nach einer besseren Stelle machen. Und diejenigen, die noch mal ganz von vorne anfangen, den alten Beruf an den Nagel hängen und sich neu ausprobieren wollen? Wer über einen so radikalen Schnitt nachdenkt, macht das in der Regel nicht vom wirtschaftlichen Klima abhängig, Meistens steckt er in einer handfesten persönlichen Krise. Jahrelang hat alles funktioniert: Lehre abgeschlossen, studiert, Berufsalltag. Das Einkommen reicht aus, um das Eigenheim abzubezahlen, drei Wochen Strandurlaub im Jahr sind auch drin. Hört man sich im Freundeskreis um, kommen die meisten zurecht. Aber vollkommen überzeugt, das Richtige zu tun, sind nur wenige. Eine Studie des Gallup-Instituts in Potsdam zur Motivation im Beruf bestätigt: 66 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland leisten Dienst nach Vorschrift. Weitere 23 Prozent hassen ihren Job so sehr, dass sie aktiv gegen die Interessen ihres Arbeitgebers agieren. Es bleiben elf Prozent, die sich engagieren und mit vollem Einsatz dabei sind. Gallup schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden durch unmotivierte Mitarbeiter auf jährlich 90 bis 120 Milliarden Euro.

Wer einen beruflichen Neustart wagen möchte, hat nicht nur mit eigenen Zweifeln zu kämpfen, sondern auch mit seiner Umwelt. Banker Andreas Dürr zum Beispiel war 36, als er kündigte und eine Agentur für Wassersport eröffnete: „Meine Freunde waren fest davon überzeugt, dass man damit kein Geld verdienen kann. Immer wieder haben sie an meine unterschwelligen Ängste appelliert“, sagt Dürr. „Wenn sich jemand im Freundeskreis verändert, nehmen das manche als persönlichen Angriff auf ihr Lebensmodell.“ Seit sieben Jahren gibt es jetzt „Dragonboats Berlin“ - allein in diesem Jahr hat Dürr schon mehr als 70 Veranstaltungen organisiert.

Aber es gibt ja auch noch andere Optionen als Wassersport. Wie ware es mit Gärtnern, Digitalisieren von Büchern oder einem Job als Reiseführer? Durchspielen lohnt sich für alle, die an ihrem eingeschlagenen Berufsweg zweifeln. Die Autorin arbeitet als Beraterin in Berlin und berät in der Kolumne "Berufsfinder" regelmäßig SZ-Leser in beruflichen Orientierungsfragen. Wir stellen sechs Fallbeispiele aus ihrer Praxis vor.

Vorher Softwareverkäuferin, heute Veranstalterin
von Hafentouren

Eine ganz normale Karriere hat Maike Brunk zunächst eingeschlagen: Studium der Wirtschaftsinformatik, danach neun Jahre lang Vertrieb in einem Hamburger Softwarehaus. Weil ihr das nicht genug ist, beginnt sie mit 32 Jahren ein neues Studium, diesmal Tourismuswirtschaft. Als der Chef davon erfährt, wirft er sie raus. "Das war der Tritt, den ich gebraucht habe", sagt sie. Brunk schreibt einen Businessplan für eine Agentur für Hafenrundfahrten. Aktuelle Geschichten und bisher unbekannte Perspektiven will die überzeugte Hamburgerin bieten. Ihre erste Tour geht zur größten Binneninsel Europas, nach Wilhelmsburg. Der Durchbruch gelingt, als ein Online-Netzwerk ein Treffen in Hamburg plant. Bei 6500 Mitgliedern sind die 150 Tickets sofort verkauft. Da ist ihre Firma "Elbinseltour" gerade vier Wochen alt. In diesem Jahr hat Brunk etwa hundert Fahrten organisiert, darunter eine mit Sektempfang am alten Elbtunnel. Danach ging es im Doppeldeckerbus zu den Containerterminals, Den Abschluss machte eine Barkassenfahrt durch den Hafen.

Vorher Banker, nachher Koch

Zehn Jahre lang arbeitet Sebastian Draack bei der Hamburger Sparkasse. Nebenbei kocht er, bereitet Buffets für mehr als 50 Leute zu und gibt Kochkurse in seiner Kirchengemeinde. Mit 30 Jahren kündigt er seine sichere Stelle. Eine Kollegin vermittelt ihm den Kontakt zu einem kleinen, aber feinen Restaurant. Dort steht Draack zum ersten Mal in einer professionellen Küche. Mit dieser Erfahrung im Rücken bewirbt sich der Bankkaufmann in einem Sterne-Restaurant an der Außenalster. Er wird zuerst zum Vorstellungsgespräch, dann zum Probekochen eingeladen. "Ich habe 14 Stunden in der Küche gestanden, bin todmüde ins Bett gefallen und habe trotzdem noch eine Stunde später gegrinst. Ich hatte eine einzige Bewerbung geschickt und in meinem Traumrestaurant gekocht." Zwei Tage später kommt die Zusage. Draacks Verlobte steht trotz der zu erwartenden langen Arbeitsnächte voll hinter ihm.

Vorher Verkäufer, nachher Gärtner

Markus Büchner aus München arbeitet im Vertrieb einer großen Sprachschule. Das aber, davon ist der Diplom-Betriebswirt überzeugt, kann nicht alles gewesen sein. Sein Hobby ist das Gärtnern, und das will er nun zum Beruf machen. Die Fachhochschule Weihenstephan bietet einen dualen Bachelor-Studiengang an mit gleichzeitiger Ausbildung im Betrieb. Büchner kündigt und bewirbt sich mit 30 Jahren um einen Ausbildungsplatz als Gärtner. Der Meister, den er anspricht, zögert zunächst, lässt sich dann aber überzeugen und richtet im September 2009 seine erste Lehrstelle ein. Doch wie den Umstieg finanzieren? Büchner vermietet seine Münchner Eigentumswohnung und zieht in eine Wohngemeinschaft. Auch das ist nicht ganz ungewöhnlich für Umsattler: Entweder man hat etwas gespart, oder man muss die Kosten vorübergehend senken. Um sein Lehrlingsgehalt aufzubessern, jobbt Büchner nebenher bei einem Marktforschungsinstitut.

Vorher Journalistin, nachher Försterin

Heide Kuhlmann hat Politik und Geschichte studiert und arbeitet als Chefin vom Dienst bei einer Auto-Fachzeitschrift in Köln. Als der Verlag ihr kündigt, nimmt sie das zum Anlass, noch einmal ganz neu zu überlegen. Sie entscheidet sich, Försterin zu werden und macht zunächst zwei Praktika. Beim ersten Marsch durch den Wald ist Kuhlmann 38 Jahre alt. Dort lernt sie, wie man eine Durchforstung angeht: wie man Rückgassen auszeichnet, Vollernter einsetzt und die Spuren der schweren Maschinen im Wald wieder beseitigt. "Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, richtig arbeiten zu können. Es klingelt nicht ständig das Telefon und zwanzig Leute wollen gleichzeitig etwas von mir", sagt Kuhlmann. Danach schreibt sie sich an der Fachhochschule Göttingen für Forstwirtschaft ein und paukt Holzartenkunde, Vermessung, Wildbiologie, Waldschutz und Bodenkunde. Und sie lernt Jagen, Schießen und Motorsägen. Ihr erstes Semester schließt sie als Jahrgangsbeste ab - nicht ganz ungewöhnlich für Leute, die eine zweite Karriere anstreben. Schließlich kann man beim zweiten Mal ernster, fokussierter und organisierter vorgehen. Wegen ihrer überdurchschnittlichen Noten bekommt Studentin Kuhlmann 2010 einen Job an der Fachhochschule als Tutorin für Biometrie.

Vorher Programmierer, nachher Lebensretter

Christian Mehler aus Koblenz ist ausgebildeter Fachinformatiker und arbeitet in der EDV eines Verlags. Doch mit 25 Jahren hat er das Rumsitzen satt: "Das Schlimmste war, zum Chef zu gehen und zu sagen ,Ich kündige‘. Aber ich wusste: Von da an geht’s bergauf." Da er seinen Zivildienst im Krankenhaus in guter Erinnerung hat, bewirbt er sich um eine Ausbildung als Rettungsassistent, Vier Bewerbungen, vier Zusagen: "In der EDV hatte ich unzählige Bewerbungen geschrieben - mit mäßigem Erfolg." Heute arbeitet Mehler beim Deutschen Roten Kreuz in der Nähe von Trier. Sein nächstes berufliches Ziel ist die Luftrettung.

Vorher Weiterbildnerin, nachher Bibliothekarin

Katrin Schmidt war jahrelang Weiterbildungsreferentin bei einem Elektronikkonzern. Als die Unzufriedenheit im Job immer größer wird, erinnert sich die Betriebswirtin daran, wie gern sie während des Studiums in der Bibliothek war. Sie kündigt mit 32 Jahren ihren Job und beginnt, Informationsmanagement an der FH Hannover zu studieren. Ihr Praxissemester absolviert sie in der altehrwürdigen Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Als Schmidt ihr Studium abschließt, schreibt die Bibliothek eine Stelle für die Digitalisierung von Hochschulschriften aus: Den Job hat sie seit Juni.