Teil 3: Intelligenz

 

Ist der Mensch zum Arbeiten gemacht?

Teil 3: Intelligenz

Ist der Mensch zum Arbeiten gemacht? Die diplomatische Antwort eines Intelligenzforschers könnte lauten: „Ja, aber nicht alle gleichermaßen.“

Intelligenzforscher erforschen die Unterschiede der messbaren Intelligenz. Dabei interessiert vor allem, wie viel des gemessenen Unterschieds zwischen Herrn Friedrich und Frau Berg genetisch bedingt ist. Und wie viel liegt an Erziehung, Förderung und Umwelteinfluss? In Shakespeares Worten: Nature or Nurture?

Um mehr Klarheit zu schaffen, spreche ich mit Dr. Dieter E. Zimmer, Autor des Buchs „Ist Intelligenz erblich?“ Es dokumentiert den Stand der internationalen Intelligenzforschung. Dabei stimmen viele Ergebnisse mit dem überein, was wir im Alltag wahrnehmen. Zum Beispiel schneiden Menschen, die wir für intelligent halten, in Intelligenztests gut ab.

Das klingt erst einmal beruhigend, allerdings nicht unbedingt politisch korrekt. Zum Beispiel, wenn man herausfindet, dass Fördermaßnahmen für Leute mit niedrigem IQ nicht viel helfen. Wer sich für einen Verteidiger der Schwachen hält, brüllt dann laut Diskriminierung. „Es gehört zum politischen Schick, missliebige wissenschaftliche Befunde nicht zur Kenntnis zu nehmen, sondern lieber wegzumobben“, so Zimmer. Dabei ließen sich die Fakten der Intelligenzforschung nicht durch eine Art Fatwa aus der Welt schaffen. Wer sie loswerden will, müsse sie widerlegen.

Für die Unerschrockenen unter den Karrierespiegel-Lesern und Leserinnen hier einige Ergebnisse: Der IQ ist genetisch bedingt. Umwelteinflüsse haben einen geringeren Effekt, der mit dem Alter auch noch abnimmt. Wenn Herr Friedrich also deutlich intelligenter ist als Frau Berg, dann ist das ebenfalls (nicht nur, aber überwiegend) genetisch bedingt. Mit Training kann man in Intelligenztests besser abschneiden, aber nicht viel. Mit Förderung kann man den IQ steigern, leider hält es nicht lange. Allerdings helfen auch kleine Intelligenzsteigerungen, um mit dem Leben besser zurecht zu kommen.

Der IQ korreliert mit beruflichem Erfolg. Nicht in jedem Einzelfall, sondern im Durchschnitt. Intelligenz ist Voraussetzung, um Maschinenbau-Ingenieur, Gerichtsmedizinerin oder Philosophieprofessorin zu werden. Allerdings wird die Streuung nach unten hin breiter: In ungelernten Berufen findet sich das gesamte IQ-Spektrum. Unter den untersuchten Truckern einer amerikanischen Studie nach dem Zweiten Weltkrieg findet sich die IQ-Spannweite von 46 bis zu atemberaubenden 145. Ein Schlauer wird also leichter Möbelschlepper als ein Dummer Arzt.

Ein hoher IQ in der Pubertät ist der stärkste Prädiktor für beruflichen Erfolg. Status und Bildung der Eltern haben ebenfalls Einfluss. Wobei deren Status und Bildung (im Durchschnitt, nicht im Einzelfall) wiederum von ihrem IQ abhängt, den sie – eben – an ihre Kinder vererbt haben. Ausgleichen kann man mangelnde Intelligenz durch Motivation, Gewissenhaftigkeit, Ausdauer, Extrovertiertheit und Ehrgeiz, alles Begriffe, die wir im Alltag mit beruflichem Erfolg verbinden.

Dennoch bleiben deutlich quantifizierbare Intelligenzunterschiede unter den Berufen. Einige Zahlen, die aus einem Test der Bundesanstalt für Arbeit berechnet wurden: Chemielaboranten kommen auf einen Durchschnitts-IQ von 114, Augenoptiker auf 113, Dachdecker auf 94, Maler und Lackierer auf 90. Eine andere Studie sieht Rechtsanwälte bei einem IQ von durchschnittlich 120, Redaktionsleiter bei 116, Lagerarbeiter bei 94 und Packer bei 88. Linda Gottfredson, Verfasserin der Studie, weist darauf hin, dass die Berufsmöglichkeiten oberhalb eines IQs von 120 fast unbegrenzt sind. Unterhalb von 75 aber gibt es praktisch keine Stellen mehr (mit Ausnahme von betreutem Arbeiten).

Dazu allerdings gibt es auch wieder Ausnahmen: Um als Model oder Torwart Karriere zu machen, scheint Intelligenz nebensächlich. Ein noch so intelligentes Model wäre nicht erfolgreich, wenn die Maße nicht stimmen. Dasselbe gilt für einen intelligenten Torwart, der nicht schnell genug aus dem Kasten kommt (vielleicht weil er zu lange nachdenkt). Eine Hutmacherin braucht mehr Kreativität, ein Sänger mehr Musikalität - beides nicht messbar.

Trotz dieser Einschränkungen strukturiert Intelligenz die gesamte Arbeitswelt. Und daraus ergibt sich ein Problem: So lange der Mensch mit den Herden zieht oder sich mit Ackerbau und Viehzucht niederlässt, gibt es auch für Minderbegabte ausreichend Arbeit: Zäune bauen, Saat säen, Kühe melken, auf die Schafe aufpassen und das Korn einholen.

Der Berufsalltag in einer Industrie- oder gar Wissensgesellschaft aber erfordert abstrakte Intelligenz. Und die braucht man inzwischen sogar für ehemals einfache Arbeit. So gilt die Landwirtschaft heute als eine der weiterbildungsintensivsten Branchen überhaupt. „Wer die Wissensgesellschaft propagiert, muss akzeptieren, dass die Kluft zwischen dumm und schlau dadurch nicht etwa verschwindet, sondern viel sichtbarer wird“, so Zimmer. Denn was genetisch bedingt ist, stünde nicht für Optimierungsanstrengungen zur Verfügung. Keine Schulreform, keine Weiterbildung, keine Fördermaßnahme der Agentur für Arbeit könne daran etwas ändern. Arbeiten heißt Denken. Und in dieser Fähigkeit ist kein homo sapiens dem anderen gleich.