Vom Ende der Arbeit

Vom Ende der Arbeit

Vor über 5.000 Jahren schuf Gott das Rad. Leider noch keine Consulting Groups, die prophezeiten, dass das Ende der Arbeit naht. So blieb der Jungsteinzeitmensch unwissend und von entsprechenden Untergangsstudien verschont.

Als der Strom im 19. Jahrhundert die Arbeit in Europa elektrifizierte, gab es immerhin Gewerkschaften, die das Ende der Arbeit kommen sahen. Aus Protest warfen französische Arbeiter in der Industrialisierung ihre Schuhe in Mäh- und Dreschmaschinen, wovon das Wort Sabotage (sabot = Holzschuh) heute noch zeugt.

Trotzdem wurde die Arbeit nicht weniger. In den 1980er Jahren bekamen Büros Computer, die man mit einer Maus bedienen konnte, ohne die MS DOS-Geheimkommandos zu kennen. Folgerichtig sagte der Club of Rome eine beispiellose Massenarbeitslosigkeit durch Computertechnik voraus. Die SPD forderte eine Steuer auf Maschinen, die menschliche Arbeit ersetzen.

Aber alles erwies sich als Quatsch: Heute hat Deutschland Rekordbeschäftigung und eine sensationell niedrige Arbeitslosenquote von 5,7 Prozent im Jahresdurchschnitt. Zur Erinnerung: Ab etwa 3 bis 5 Prozent spricht man von Vollbeschäftigung.

Natürlich könnte man argumentieren, dass die Statistik lügt und einige Arbeitslose durch Maßnahmenkosmetik herausgerechnet werden. Allerdings sollte man dann auch sagen, dass umgekehrt eine ganze Reihe angeblich Arbeitsloser in Wirklichkeit arbeitet – nämlich schwarz.

 

Der Mensch ist zum Arbeiten gemacht

Entgegen allen Studien zum Ende der Arbeit soll hier vorausgesagt werden: Nichts wird sich ändern. Oder besser: Alles ändert sich, und doch bleibt es dasselbe. Der Mensch ist zum Arbeiten gemacht. Tatsächlich ist der Mensch das einzige Tier, das mit einem erheblichen Überschuss an Energie ausgestattet ist. Was bedeutet, dass er deutlich über seine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung hinaus arbeiten kann - und arbeitet.

Statt Fell haben wir Millionen kleiner Schweißdrüsen und können somit Hitze abgeben. Was unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans, nicht können. Ein Affe, der eine Kirche baut, würde schlicht vor Hitze verglühen.

Wegen seines großen Gehirns kann der Mensch nicht nur Obst und Gemüse anbauen, Rinder züchten, Bioläden betreiben, Maschinen bauen, Kinder taufen, Gesetze schreiben, sondern auch komponieren, dichten und bildhauern. Er neigt eben zur Arbeit. Außerdem will er sich etwas leisten. Wenn alle ein Supersmartphone haben, will er auch ein Supersmartphone. Statt eine Woche Eifel will er nach Südafrika oder Vietnam. Und das ist mit den angedachten 1100 Euro bedingungslosem Grundeinkommen pro Monat nicht finanzierbar. Schon das neue iPhone kostet mehr.

So werden Friseure und Schreinerinnen, Rechtsanwältinnen und Bierbrauer Arbeit ersinnen, die ein Roboter erstmal nicht kann, auch wenn er 24 Stunden am Stück Haare schneiden, Hochbetten bauen, Urteile sichten und Biersud aus der Würzpfanne pumpen kann. Vielleicht hat eine Lehrerin überhaupt erst einmal Zeit für ihre pädagogischen Aufgaben, wenn eine Software Vokabeln abfragt und Mathetests korrigiert.

 

Wiederkehrendes Motiv

Wie also kommt’s, dass alle Jahre wieder das Lied vom Verschwinden der Arbeit gesungen wird?

Es gibt mindestens drei offensichtliche Gründe: Erstens ist eine Arbeitsuntergangsstudie PR für eine Consulting Group, die sich Aufträge davon erhofft. Die Message lautet: „Liebe Unternehmen, liebe staatliche Institutionen, liebe Alle: Ihr braucht dringend unsere Expertise.“ Daran ist absolut nichts auszusetzen. Allenfalls, dass Journalisten distanzlos über die „Studienergebnisse“ berichten.

Zum zweiten profitieren auch Journalisten von bedrohlichen Studien. Denn wo keine Katastrophe, da auch keine Berichterstattung. Würde eine Sonntagszeitung aufmachen mit „Liebe Leserinnen und Leser, alles ruhig und in Ordnung“, würde kein Mensch klicken und lesen. Es muss mindestens heißen „Das große Jobsterben“.

Der amerikanische Soziologe David L. Altheide weist in seinem Buch "Creating Fear" darauf hin, dass die mediale Angst – damit sie effektiv ist - einen Plot braucht. Eine Geschichte muss erzählt werden mit bedrohlichen Sätzen wie „Das Tempo der Veränderungen wird sich in der nächsten Dekade erheblich beschleunigen“ oder „Der technische Fortschritt schreitet unaufhaltsam voran.“ Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der technische Fortschritt schreitet unaufhaltsam voran.

Zum Angstplot gehört auch, dass die Bedrohung nahe am Leser ist. Der Leser muss sich persönlich betroffen fühlen. Oder er muss zumindest jemanden kennen, der sich betroffen fühlen könnte. Wenn also eine Sonntagszeitung unter ihren Leserinnen und Lesern viele Akademiker vermutet, dann vermittelt der Artikel notwendig und folgerichtig „Auch gut Ausgebildete sind betroffen.“

Der dritte Grund: Die Idee, dass die Arbeit ausstirbt, eignet sich vortrefflich dazu, politische Forderungen zu stellen - üblicherweise nach mehr Umverteilung. Und zwar in einem Land, in dem so ziemlich jedes Argument irgendwann dazu benutzt wird, mehr Umverteilung zu fordern. Die paar Leutchen, die in Zukunft noch arbeiten würden, sollen möglichst hohe Steuern zahlen, damit mehr Geld umverteilt werden kann und mehr Leute auf Kosten anderer leben.

 

Arbeitsverwaltung ohne Arbeit?

Wenn es wirklich bald keine Arbeit mehr gäbe, müsste eigentlich als erstes die Bundesagentur für Arbeit abgeschafft werden. Dafür allerdings gibt es momentan keinerlei Anzeichen. Im Gegenteil: Es werden zurzeit etwa 3.600 neue Mitarbeiter ausgebildet, sodass die Agentur dann für die Verteilung nicht vorhandener Arbeit fast 100.000 Mitarbeiter hätte. Bürokratie stirbt nie, Bürokratie wächst in Eigenregie. Selbst wenn die neue Regierung ein Ministerium für Bürokratieabbau schaffen würde, hätte es ruckizucki tausend Mitarbeiter.

Die Zukunft der Arbeit liegt im Miteinander von Mensch und Roboter, Big Data und Künstlicher Intelligenz. Ein kleiner Junge kann bald seinen Leberfleck vor sein Smartphone halten und ihn der Suchmaschine zur Prüfung geben. Diese wird ihn mit 50 Millionen Leberflecken vergleichen und innerhalb von Sekunden verschiedene Diagnosen und Therapien plus Bewertungen ausspucken („Zehn Millionen Patienten, die auch so einen Lebefleck hatten, empfehlen….“). Das sind wichtige Informationen – vor allem für den Arzt. Früher hatte er ein Studium und Erfahrung, heute hat er ein Studium und Erfahrung und Big Data.

Auch der Sieg des damaligen IBM Rechners Deep Blue über den Schachweltmeister Garri Kasparow brachte den Menschen nicht etwa dazu, das Schachspielen sein zu lassen. Im Gegenteil: Heute gibt mehr als doppelt so viele Großmeister wie in den 1990er Jahren. Mehr Leute denn je spielen Schach – und sie spielen besser, weil sie mit Schachcomputern trainieren. Der beste Schachspieler der Welt heißt Intagrand und besteht aus mehreren Menschen und mehreren künstlichen Intelligenzen, die im Team zusammenspielen. Ähnliche Entwicklungen lassen hoffen auf gute Architekten, gute Psychotherapeuten, gute Hörgeräteakustikerinnen und gute Kriminalistinnen.

Arbeit ändert sich, Berufe ändern sich. Das ist nichts Neues und kein Grund für den Nachwuchs, auf eine Berufsausbildung zu verzichten – in dem Glauben, demnächst gäbe es sowieso nichts mehr zu tun. Es gibt immer was zu tun.