Du musst es lieben!

Du musst es lieben!

aus: Jugendmagazin A 0405, April 2004

Interview: Viola Strüder und Michael Heinemann-May

Wie können Jugendliche herausfinden, was sie beruflich später einmal machen wollen, wenn sie für sich noch keine besondere Begabung erkannt haben?

Uta Glaubitz: Die wenigsten Jugendlichen haben diese eine, besonders ausgeprägte Begabung. Vielleicht fünf Prozent wissen schon früh, dass sie Schneiderin, Schauspieler, Zahnärztin oder Physik-Professor werden wollen. Die anderen müssen sich ihre Vorstellung vom Traumberuf hart erarbeiten. Für jemanden, der noch ganz am Anfang seines Lebens steht, ist es schwierig, eine Entscheidung zu treffen, die so weit reichende Auswirkungen hat. Am besten fragt man sich erst einmal, was einem Spaß macht, was einen interessiert und was einem wichtig ist.

Wann äußern Menschen erstmals einen Berufswunsch?

Uta Glaubitz: So mit dreieinhalb bis vier Jahren: Da gibt es unzählige Balletttänzerinnen, Astronauten, Zirkusclowns und Feuerwehrleute.

Und was passiert dann?

Uta Glaubitz: Wir werden groß mit Aussagen wie „Du spinnst. Das ist doch kein richtiger Beruf. Das kannst du doch gar nicht. Damit kann man kein Geld verdienen. Das wollen doch heute alle. Die werden gerade auf dich gewartet haben..." Das heißt, die ganze Berufsklamotte ist für Jugendliche negativ beladen. Wenn sie als Kind irgendwas geäußert haben, gab's eins auf den Deckel. Deswegen ist es wichtig, diesen ganzen Frust aufzubrechen und zu sagen: „Wir sprechen jetzt erstmal über das, was dir Spaß macht."

Eifern Jugendliche bei der Berufswahl ihren Eltern nach?

Uta Glaubitz: Es gibt die, die genau das machen, was die Eltern machen oder erwarten. Und es gibt solche, die sich von ihrem Elternhaus lösen wollen, indem sie etwas Unerwartetes oder auch Unerwünschtes tun. Beide Motivationen – die eher angepasste und die rebellische – sind jedoch schlechte Ratgeber für die Berufsentscheidung. Die sollte getroffen werden aufgrund von Neigungen und Vorlieben, die sich im eigenen Leben finden, nicht in dem der Eltern.

Welche Rolle spielt Angst bei einer Berufsentscheidung?

Uta Glaubitz: Angst spielt eine wesentliche Rolle. Allein schon dieser Satz, den Jugendliche auch heute noch oft zu hören bekommen – „Der Beruf, für den du dich jetzt entscheidest, den musst du auch in 40 Jahren noch machen wollen" – überfrachtet die Entscheidung total. Es ist furchtbar, wenn sich Leute für ein Jurastudium entscheiden aus Angst, bei der Familie anzuecken. Ein Leben, das auf Angst beruht, ist kein gutes Leben.

Wer kann Jugendlichen in dieser Entscheidungssituation am besten helfen?

Uta Glaubitz: Bei jeder Entscheidung sind sie letztendlich für sich selbst verantwortlich - nicht die Eltern, nicht das Arbeitsamt, nicht die Freunde.

Eltern sind also keine guten Berufsberater?

Uta Glaubitz: Nein. Eltern sind in der Regel sehr schlechte Berufsberater. Sie wollen ihre Kinder immer schützen, sorgen sich um ihre Zukunft. Die Kinder sollen lieber einen vermeintlich sicheren, soliden Beruf ergreifen. Oder die Eltern haben feste eigene Vorstellungen, manchmal auch Eigeninteressen. Das ist völlig legitim. Nur sollte man sie eben deswegen in punkto Beruf nicht zu Rate ziehen.

Kommen Jugendliche bei der Berufsfindung häufig in Konflikt mit ihren Eltern?

Uta Glaubitz: Ja. Viele Eltern wollen, dass ihr Nachwuchs in die Fußstapfen der Familie tritt. Wenn Sohn oder Tochter nicht wollen, herrscht meist Unverständnis bei den Eltern. Dann ist es wichtig, den Konflikt auszutragen. Doch viele scheuen die Auseinandersetzung. Manche quälen sich sogar durch ein Studium, das sie eigentlich nie wollten. Da ist es gesünder, den eigenen Weg zu gehen und zu sagen: „Was meine Eltern wollen, mag gut gemeint sein, ist aber ihr Wunschdenken und nicht meine Vorstellung vom Leben."

Wie kommen Jugendliche in dieser Phase trotzdem gut mit den Eltern aus?

Uta Glaubitz: Es ist wichtig, Konflikte auszutragen. Das Suchen nach dem Berufsweg ist Teil des Erwachsenwerdens und ein Schritt zur Abnabelung von den Eltern. So unangenehm, wie es in dem Moment auch sein mag, aber Erwachsenwerden hat immer etwas mit Konflikten zu tun. Dass Jugendliche erst nachts nach Hause kommen, von zu Hause ausziehen wollen, sich nicht mehr so anziehen, wie die Eltern das wollen, dass sie Freunde haben, die den Eltern nicht passen, und dass sie eine berufliche Entscheidung treffen, die den Eltern möglicherweise nicht gefällt - das gehört zum Erwachsenwerden dazu.

Und wie kann man solche Konflikte meistern?

Uta Glaubitz: Was immer ganz gut bei Eltern ankommt, ist ein konkreter Plan. Ich würde raten: „Schreibt auf, was ihr werden wollt – beispielsweise Floristin –, und plant eure nächsten Schritte. Stellt Nachforschungen an, ob ihr ein Praktikum bei einem Blumenladen machen könnt, informiert euch über ausbildende Betriebe in eurer Nähe oder besucht die Bundesgartenschau." Mit solch einem Plan wird den Eltern manche Sorge genommen. Wer sagt, er wolle später in die Werbung gehen, aber nichts dafür unternimmt, der darf sich über besorgte Eltern nicht wundern. Ein Plan mit Fakten und Daten für die Zwischenschritte gibt den Eltern das Gefühl, dass ihre Kinder die Sache im Griff haben.

Was hilft Jugendlichen auf ihrem Weg zu sich selbst und später zum Traumjob?

Uta Glaubitz: Ich würde erst einmal ganz unabhängig von beruflichen Fragen auf mein Leben schauen und sehen, was ich dort finde: Welche Situationen, Tage oder Zeiten gibt es, in denen ich mich engagiere, in denen ich überhaupt kein Problem habe, mich 24 Stunden mit einer Sache zu beschäftigen? Wo finde ich in meinem Leben Situationen, in denen ich viel Energie hatte, auch Situationen, in denen ich stolz auf mich war, weil ich etwas geschafft habe – eine tolle Party organisiert, bei den Bundesjugendspielen einen Preis gewonnen, in der Schülerzeitung meinen ersten Artikel veröffentlicht, jemanden nach einem Unfall ganz schnell ins Krankenhaus gebracht...? Solche Situationen geben Aufschluss über Stärken und Fähigkeiten.

Sollte man sich eine beruflich solide Grundlage schaffen, bevor man den Traumberuf anstrebt?

Uta Glaubitz: Wenn man einen Traumberuf im Kopf hat, sollte man von Anfang an alles für diesen Beruf tun und nicht für einen Job, den man eigentlich nicht will. Eine Geschichte, die ich mir viel zu oft anhören muss, geht so: „Ich wusste überhaupt nicht, was ich nach dem Schulabschluss machen sollte. Und dann wurde bei uns im Dorf eine Lehrstelle in der Sparkasse frei." Jemand macht also eine Banklehre und hasst es vom ersten Tag an. Nach der Lehre überlegt er: „Jetzt endlich gehe ich an die Uni und studiere Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte oder Ethnologie". Und was bekommt er zu hören? – „Bist du wahnsinnig? Damit kann man doch kein Geld verdienen. Du hast doch eine Banklehre. Studier' doch BWL." Also fängt er ein BWL-Studium an – und hasst es vom ersten Tag an. Womöglich geht er dann nach dem Abschluss zurück in die Bank – und hasst es. Vielleicht merkt er irgendwann, dass er sich aus vermeintlichen Vernunftgründen völlig verrannt hat und ändert etwas. Vielleicht sitzt er aber auch ewig in dem Job, den er eigentlich nie wollte. Aus Angst, den Eltern nicht gerecht zu werden, von den Freunden nicht gern gehabt zu werden und nicht gut genug zu sein.

Trotzdem ist die gängige Meinung, dass eine solide, finanzielle Grundlage durch einen Job wichtig sei. Auch gibt es die Meinung, ein gut bezahlter Job mache glücklich, weil er viele Dinge im privaten Bereich ermöglicht. Wie ist Ihre Erfahrung damit?

Uta Glaubitz: Finanzielle Sicherheit ist vielen wichtig. Aber das allein macht kein glückliches, erfülltes Leben aus. Je größer der Frust ist, desto mehr Frustkäufe muss man machen. Doch dann steht der Porsche in der Garage und man ist trotzdem kreuzunglücklich. Geld allein macht eben nicht glücklich. Viel wichtiger ist ein Beruf, der Spaß macht. Auch Anerkennung spielt eine wichtige Rolle. Und die erhält man in einem Job, den man gut macht, weil man ihn gerne macht.

Welche Eigenschaften muss man mitbringen, um einen „tollen Job" zu bekommen?

Uta Glaubitz: Dazu gehört viel Engagement. Natürlich sind die Leute im Vorteil, die motiviert, engagiert, kommunikativ, offen und begeisterungsfähig sind. Mit wenig Energieaufwand kann man einfach nichts Tolles schaffen. Vielleicht hilft es, sich mal im Fernsehen nach Leuten umzuschauen, die einen dieser „total coolen Jobs" haben - Charlotte Roche, Oliver Geißen oder Jamie Oliver beispielsweise. Und dann sollte man sich überlegen: „Was muss ich unternehmen, damit ich eines Tages auch so einen coolen Job habe?" Man kann es schaffen – wenn man etwas dafür tut: Nicht abwimmeln lassen, kämpfen, dran bleiben, hart arbeiten – ohne das geht es nicht.

Wovon sollte man sich bei der Berufswahl leiten lassen? Kopf oder Bauch?

Uta Glaubitz: Auf keinen Fall sollte man den Weg des geringsten Widerstandes suchen. Die Wegweiser sind: Wo liegt mir etwas am Herzen, wo ist mir etwas wichtig, was macht mir Spaß? Ohne Spaß funktioniert es nicht. Ein Beruf ist viel zu anstrengend, als dass man ihn immer gegen die eigenen Vorlieben und Neigungen machen könnte. Man soll das zum Beruf machen, was man gerne macht. Kurz: Du musst es lieben!