Mein neues Leben

Mein neues Leben

aus: Wirtschaftswoche, 23. Juli 2007

Routine, Frust, Sinnkrise - wie Manager aussteigen und ihr Hobby zum Beruf machen

Es trifft viele. Früher oder später, mit 25, 35 oder 45 Jahren, manchmal auch erst mit 55. Andreas Dürr ist Mitte 30, als es ihn erwischt. Plötzlich geistern Fragen in seinem Kopf herum, die er sich vorher nie gestellt hat: Macht es wirklich Sinn, jeden Morgen für diesen Job aufzustehen? Füllt diese Arbeit mein Leben auf Dauer aus? Soll es das sein, was meinem Leben Spaß und Erfüllung bringt?

Dürr ist zu diesem Zeitpunkt Firmenkundenberater bei der Deutschen Kreditbank (DKB). Er prüft Bilanzen, füllt Formulare aus und gewährt Kredite. Er leitet ein Team mit vier Mitarbeitern. Das macht er seit Jahren, tagein, tagaus. An diesem Tag ist das anders: Es macht Klick und ihn überkommt das Gefühl, dass sich etwas ändern muss. Jetzt. Sofort. So darf es nicht weitergehen! Er geht in ein Berufsfindungsseminar, stellt sich seiner quälenden Unlust und fasst am Ende eine folgenschwere Entscheidung: Er macht sein Hobby zum Beruf: Drachenbootrennen organisieren. "Es war die beste Entscheidung meines Lebens", sagt der heute 40-Jährige.

Erst in einer Sinnkrise entdecken viele Menschen, was sie wirklich antreibt. Sie zweifeln an den Inhalten im Job, haben immer weniger Lust an der Arbeit oder sind frustriert von der Dauerbevormundung durch den Vorgesetzten. Der Wunsch nach Veränderung wächst unaufhörlich. Anders als Dürr wagen aber nur wenige den Schritt raus aus der Routine und rein in einen neuen Beruf, ein neues Unternehmen - vielleicht sogar das eigene. Sie hadern lieber weiter mit sich, statt ihrer Leidenschaft auf die Sprünge zu helfen.

Die berufliche Unzufriedenheit ist immer auch eine Chance. Nutzen kann sie, wer seiner Begeisterung konsequent folgt, wer dabei Unterstützer findet und den neuen Weg maßvoll strukturiert und umsetzt.

Hauptantrieb ist die eigene Leidenschaft. Uta Glaubitz ist trainiert darauf, sie anzustacheln. Die Trainerin unterstützt unzufriedene Berufstätige beim Wechsel in eine neue Position und hilft bei der Suche nach der eigenen Passion. Ihre Kurse sind auf lange Zeit ausgebucht

So war es auch bei Andreas Dürr: Sein Lebenslauf liest sich wie ein Papier der Vernunft. Seinen Berufswunsch Profisportler musste er als Jugendlicher früh begraben. Bei der Ruder-Junioren-Weltmeisterschaft schaffte der Berliner 1985 zwar den dritten Rang, doch der Sprung in den A-Kader der ehemaligen DDR gelang ihm nicht. Statt der Karriere als Leistungssportler machte er später zunächst eine Lehre zum Bankkaufmann, dann ein Studium zum Bankbetriebswirt. "Sicherheit war mir wichtig, ich war nie ein Draufgänger", sagt Dürr.

Doch die Passion für den Sport glimmt in ihm weiter. Angeleitet von der Trainerin Glaubitz beginnt er, seine Denkschablonen aufzubrechen: Wie würde ich mich entscheiden, wenn ich ohne finanzielles Risiko eine neue Aufgabe anfangen könnte? Welche Antriebe ließen mich damals viele Kilometer täglich im Ruderboot runterreißen, ohne dass mich das wirklich anstrengte? An welchen Orten fühle ich mich heute besonders wohl?

Seine Antworten sind die Initialzündung für sein neues Leben: Er liebt das Wasser, die Bewegung und die Natur. Seit Anfang der Neunzigerjahre fährt er als Hobby Drachenboot. In dem langen Paddelboot sitzen mehr als ein Dutzend Ruderer paarweise zusammen und rudern im Gleichtakt zu Trommelschlägen des Steuermanns. Jedes Mal, wenn Dürr nach dem Tag in der Bank abends Anzug und Krawatte gegen T-Shirt und Sporthose eintauscht und im Rhythmus der Trommelschläge mit Freunden über die Spree gleitet, dann trommelt sein Herz aus Freude mit. Mit Enthusiasmus organisiert er ehrenamtlich Rennen. Warum daraus nicht einen Job machen und Geld damit verdienen? "Auf einmal war mir klar, dass ich genau das machen will", sagt Dürr.

So erhält Drachenbootfahrer Dürrs Enthusiasmus zunächst einen Dämpfer. Für seine Idee sucht er Kompagnons, spricht Freunde an - vergebens. Zudem ist die Konjunktur 2003 flau, als er sich verändern möchte. Das Risiko, eine Eventagentur für Drachenbootrennen zu gründen, sei zu hoch, murren seine Bekannten. Auf das Boot will keiner aufspringen. Sie raten ihm ab.

Wechselwillige brauchen "Mutmacher", sagt Beraterin Glaubitz. Die meisten scheitern daran, dass Bedenkenträger in ihrem persönlichen Umfeld die zaghaften Versuche einer Neuorientierung von vornherein torpedieren. Da drohen Eltern ihrem Sohn mit der Sperrung des monatlichen Schecks, weil er nach seinem BWL-Studium ein Medizinstudium anhängen möchte. Vorgesetzte katapultieren den Wechselwilligen ins Karriere-Abseits, weil sie Desinteresse befürchten. Und Freunde eines Juristen finden dessen Idee, plötzlich Schauspieler zu werden, einfach nur spinnert. Nicht selten spricht aus den Bedenken allerdings auch der Neid, weil sie selbst den Umstieg nie gewagt haben.

Genau deshalb schiebt auch Dürr die Kritik seiner Bekannten beiseite, hört lieber auf die eigene Stimme und die positive Unterstützung ausgewählter Freunde. "Die haben mir unheimlich viel Halt gegeben", sagt Dürr. Er überlegt sich Trainingskonzepte für Unternehmen – Drachenbootrennen als Teambildungsmaßnahme – und spricht abends nach der Bank Personalchefs an. Die Akquise fällt ihm leicht, er kennt das aus seinem Job als Firmenkundenberater. Für die erste richtige Saison im Jahr 2004 plant er vorsichtig nur ein bis drei Veranstaltungen. Es werden fünf, und sein Unternehmen wächst. Dürr reduziert sein Arbeitspensum bei der Bank auf 50 Prozent, und arbeitet für seine Agentur de facto dreimal so viel - abends und am Wochenende. Das sei ein "absolut erfülltes Leben", sagt Dürr.