Neuer Job – Neues Glück: Die Krise als Chance

Neuer Job – Neues Glück:
Die Krise als Chance

aus: Stern, 2. Januar 2009

Eine Kündigung, ein nörgelnder Chef, zu wenig Herausforderungen – irgendwann kommt fast jeder im Beruf mal an den Punkt, wo er sich fragt: Wie will ich eigentlich arbeiten? Was ist aus meinen Träumen geworden? Dann geht der Gedanke an den Jobwechsel nicht mehr aus dem Kopf. Der Stern sprach mit drei Kunden von Uta Glaubitz.

Vorher: Diakon
Nachher: Outdoortrainer

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Viele Freunde von Oliver Birükof waren skeptisch, als der angehende Diakon seine Ausbildung einfach hinschmiss und ein Praktikum bei einem Verein für Erlebnispädagogik begann. Outdoortrainer, ist das überhaupt ein richtiger Beruf? Und kann man damit Geld verdienen? „Ich habe mir ihre Zweifel angehört, war mir aber sicher, dass ich es schaffe.“ Heute wird der 26-Jährige von vielen um seinen abwechslungsreichen Job im Wald und auf den Bergen beneidet. „Selbst wenn es drei Tage am Stück in Strömen regnet, liebe ich meinen Beruf“, sagt Birükof.

Neue Arbeit – neues Glück. Rund acht Millionen Menschen fangen in Deutschland pro Jahr einen neuen Job an. Die meisten wechseln schlicht den Arbeitgeber, manche kämpfen sich aus der Arbeitslosigkeit heraus, und ein paar gründen ihre eigene Firma. Der stern hat Menschen getroffen, die den Sprung gewagt haben. Da wird aus dem Diakon ein Bergführer, aus der Headhunterin eine Totengräberin oder aus dem Chirurgen ein Trucker. Die Kündigung, ein ständig nörgelnder Chef, eine Depression – oft sind Krisen Auslöser für Veränderungen. Situationen, die einen innehalten lassen, die einen zwingen, das eigene Leben noch mal zu überdenken. Die berühmten „jetzt oder nie“- Momente, die zeigen, dass die Chance gekommen ist, das Leben anders anzugehen. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Unternehmen wie Nokia über Nacht ganze Werke in Billiglohnländer verlagern, wo Traditionshäuser wie Hertie Insolvenz anmelden und komplette Branchen ums Überleben kämpfen, wo die Euphorie des Aufschwungs der Furcht vor der Rezession weicht, fragen sich viele: Was passiert eigentlich, wenn es meinen Job mal nicht mehr gibt? Wie sieht mein Plan B aus? Das Leben selbst in die Hand nehmen, sich nicht als Opfer der Umstände zu fühlen kostet Kraft. Aber es ist auch gesund. Denn kaum etwas ist schlimmer als die ewige Trauer über verpasste Chancen, das Verharren in einer misslichen Situation. Was ist mir wichtig? Wofür springe ich freiwillig morgens aus dem Bett? Was fasziniert mich so, dass ich dafür die Nacht durcharbeiten würde?

Berufsberaterin Uta Glaubitz, die seit zwölf Jahren Menschen bei der Wahl des richtigen Jobs hilft, sagt: „Zu entdecken, was einen wirklich antreibt, ist oft ein besserer Ratgeber als die nackte Statistik des Arbeitsamtes, die nur zeigt, wo es wie viele offene Stellen gibt.“ Bei Guido Keller war es die Leidenschaft für Wein. Vor allem für Bordeaux. Nach Feierabend tüftelte der Daimler-Angestellte in seinem Gewölbekeller die richtige Zirkulation und Luftfeuchtigkeit für die Lagerung seiner edlen Flaschen aus. Der Schwabe fachsimpelte mit Freunden und entdeckte, dass es mehr gibt als Trollinger und Lemberger. Ein schönes Hobby für einen erfolgreichen Auto-Mann, mehr nicht. Bis zu dem Tag, an dem er vor die Wahl gestellt wurde: Entweder du gehst in die Altersteilzeit oder kassierst eine Abfindung. Der damals 53-Jährige kam ins Grübeln. Wie wäre es wohl, einen kleinen Weinladen aufzumachen? Zwei Tage vor Heiligabend unterschrieb er seinen Aufhebungsvertrag und startete seine neue Karriere als Weinhändler in Stuttgart. Obwohl er wusste: „Das Unternehmen ist finanziell ein großes Risiko für mich. Gerade in meinem Alter.“

Alles auf Null

Viele Ehefrauen und -männer sind von der Idee ihres Partners wenig begeistert. Wovon soll jetzt die Eigentumswohnung abbezahlt werden? Bleibt in der neuen Berufung auch noch Zeit für die Familie? Leidet das Ansehen bei Freunden und Bekannten? Beraterin Uta Glaubitz hat regelmäßig aufgeregte Ehefrauen in der Leitung. „Die flehen mich geradezu an, dass ich ihren Gatten überrede, Diplomat oder Anwalt zu werden. Eine drohte sogar mit der Scheidung, falls ihr Mann Heilpraktiker werden wollte. Der freiwillige Verzicht auf Geld, Karriere und Ansehen gleicht in unserer leistungs- und prestigeorientierten Welt noch immer einem Tabubruch. Ein Arbeiterkind darf, ja soll sich danach sehnen, Arzt oder Astronaut zu sein. Will hingegen ein Akademikerkind Schuhmacher werden, wird ihm diese „Schnapsidee“ schnell ausgeredet.

Auch Oliver Birükof sagt: „Mein Neustart war eine Belastung für die Partnerschaft. Der Nürnberger schmiss seine sechsjährige Ausbildung zum Diakon und begann ein Praktikum als Outdoortrainer in der Nähe von Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern. Gut 500 Kilometer trennten ihn und seine Freundin über viele Monate. Aber die beiden waren sich einig, „eine Beziehung darf kein Gefängnis sein“. Heute leben die zwei wieder zusammen in Tübingen, wo sich Oliver Birükof eine eigene Existenz aufbaut.

Vorher: Controllerin
Nachher: Modemanagerin

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Immer abends kamen die Tränen. Milla Stroh fuhr mit dem Zug nach Hause. Draußen war es längst dunkel; das Abteil beinahe menschen-leer. Wie so oft hatte sie gerade einen elfstündigen Arbeitstag hinter sich, hatte endlose Zahlenkolonnen aneinandergereiht und mal eben schnell eine Präsentation fertig-gestellt. Sie hatte sich beherrscht, als sich ihr Chef alle fünf Minuten nach „dem Stand der Dinge“ erkundigte und sie ihm am liebsten entgegengeschleudert hätte: „Mensch, lass mich doch einfach mal in Ruhe arbeiten!"

Und mal wieder hatte sie, als am Ende des Tages alles gut gelaufen war, kein einziges Wort des Lobes gehört. „Im Zug war es dann vorbei mit der Beherrschung. Ich konnte nur noch heulen- vor Frust, vor Enttäuschung, vor Stress“, erzählt die 33-Jährige über ihre Zeit als Controllerin bei der Allianz-Versicherung in Stuttgart: „Ich war todunglücklich. Aber alle um mich herum haben gesagt, du hast doch einen tollen Job, bei einer großen Firma mit einem guten Namen. Du hast eine sichere Perspektive. Also habe ich den Fehler bei mir gesucht. Willst du zu viel vom Leben? Bist du vielleicht zu anspruchsvoll?“ Dreieinhalb Jahre führte sie den Kampf mit sich selbst. Im Sommer 2008 siegte der Mut über die Verzweiflung. Milla Stroh kündigte bei der Allianz.

Noch mal von vorn anfangen

Alles auf null stellen. Irgendwann kommt fast jeder einmal an den Punkt, an dem er sich fragt: „Was ist eigentlich aus meinen Träumen geworden? Soll es das jetzt schon gewesen sein ?“ Spätestens an Silvester, wenn die Sektkorken knallen, fängt das Grübeln an: „Was wäre, wenn ich alles hinschmeiße? Mein Leben noch mal umkrempel?“ Nichts erscheint in einem solchen Moment so verheißungsvoll wie ein Neuanfang, und kaum etwas macht gleichzeitig so viel Angst wie dieser Sprung ins Ungewisse. Milla Stroh träumte von der Welt der Mode, von silbernen Pumps und glitzernden Tops, von Moskau und Paris, von Gucci und Prada, nicht von Policen und Krediten, von grauen Anzügen, Excel-Tabellen und Power-Point-Präsentationen. Doch Jobangebote bekam die Stuttgarterin, die vier Sprachen fließend spricht und schon während ihres MBA-Studiums ein Faible für Marketing und Konsum entwickelte, nur wieder als Zahlendreherin. Im Herbst 2008 hatte Milla Stroh gut 50 Bewerbungen geschrieben. Die sechs Wochen Kündigungsfrist neigten sich dem Ende, aber noch immer war kein Job in der Modebranche in Sicht. Die Lage wurde brenzlig. Also setzte sich Milla Stroh kurzerhand in den Flieger nach Moskau. Ihr Ziel: die internationale Modemesse CPM. „Am Anfang kostete es eine wahnsinnige Überwindung, die Leute einfach so anzusprechen. Um manche Stände bin ich dreimal herumgelaufen, bevor ich mich getraut habe.“ Viele der Messehostessen wollten die junge Frau erst mal abwimmeln. Milla Stroh kämpfte sich zu den Verantwortlichen durch. Mit Erfolg. Ihr Charme und ihr professionelles Auftreten überzeugten die Geschäftsführerin der Textilfirma Steilmann. Seit 1. Januar baut sie für den Konzern das Russlandgeschäft für die Premiummarken auf.

Vorher: Softwareberaterin
Nachher: Elbtourmanagerin

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Die Idee für ihre neue Laufbahn kam Maike Brunk auf einer Feier mit Freunden im Hamburger Hafen. „Wir saßen beim Portugiesen, und ich kam mit einem Kapitän ins Gespräch. Er erzählte, dass sich viele Leute individuelle und originelle Elbtouren wünschen. Da wusste ich, das will ich machen. Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee, aber eine sehr erfolgreiche“. Bald macht die 37-Jährige auch ihr Kapitänspatent.

Nur zwölf Prozent der Deutschen leben wirklich für ihren Beruf

sagt eine Studie des Marktforschungsinstituts Gallup. 88 Prozent spüren keine echte Verpflichtung gegenüber ihrem Arbeitgeber. Und jeder Fünfte gibt zu, dass er bereits innerlich gekündigt hat. Die immer gleichen Abläufe und Routinen lähmen den Antrieb und führen zu Frust. Und dann biegt sie plötzlich um die Ecke, die große Frage nach dem Sinn. Bei dem einen schon mit 25 Jahren, bei vielen so um die 40. Mit einem Mal schießt durch den Kopf, was sonst immer beiseite geschoben wurde. „Wozu lebe ich? Für wen mache ich das hier eigentlich?“

Ein geglückter Neustart ist meist kein Geniestreich

sondern ein langer Prozess. Er ist das Ergebnis aus intensivem Nachdenken, viel harter Arbeit und oft auch dem einen oder anderen Kompromiss. Belastbare Zahlen darüber, wie viele Umsteiger Erfolg haben, gibt es nicht. „Aber die Zufriedenheit bei denjenigen, die ihr Leben selbst in die Hand genommen haben, ist sehr groß“ weiß der Düsseldorfer Medizinprofessor Johannes Siegrist, der den psychischen Gesundheitszustand von Berufstätigen erforscht. Vielleicht handeln deswegen so viele Mythen, Sagen und Klassiker der Weltliteratur von Aufbrüchen in eine neue Welt.