Noch mal auf Anfang

Noch mal auf Anfang

aus: Stern Viva, Herbst 2012

Jede Ausgabe von »viva!« beginnt mit Portraits von Männern und Frauen, die ihrem Leben noch einmal einen neuen Dreh gegeben haben. Die nicht lamentieren, dass alles anders verlaufen wäre, wenn ..., sondern die ES EINFACH MACHEN: ein Wanderheim in Grönland führen, mit über 40 das Kapitänspatent erlangen oder mit schönen Dingen handeln, die ihnen selbst gefallen.

Mona Zimmermann (50)

Von der Marketing-Fachfrau zur Spendenaktionsleiterin


Sechzehn Jahre lang war Mona Zimmermann mit Leidenschaft Hausfrau und Mutter. Aber irgendwann wollte sie wieder arbeiten. Nicht irgendwas - etwas Sinnvolles sollte es schon sein. Vor der Babypause hatte sie BWL studiert und dann im Marketing eines Hotels und einer Kaufhauskette gearbeitet. Doch wie steigt man wieder ein, nach so einer langen Pause?

„Anfangs bewarb ich mich bei Messen. Ohne Erfolg. Rückblickend weiß ich: Damals fehlte mir das Selbstbewusstsein“, erzählt sie. „Man muss sich klar machen, was man alles kann, und darf sich nicht mit der jüngeren Konkurrenz vergleichen.“ Und vor allem: offen sein, nicht nur Jobs im alten Beruf suchen. Durch ihr persönliches Schicksal wuchs der Wunsch, Menschen zu helfen. Ihre Eltern waren beide an Krebs gestorben. „Nach dem Studium habe ich noch gedacht: Wo kann ich gutes Geldverdienen und Karriere machen?“

Nun, beim Wiedereinstieg vor fast zwei Jahren war das anders. Ich wollte meine Erfahrung einsetzen, um etwas zu bewegen“, sagt Mona Zimmermann. Erst nach anderthalb Jahren Suche fand sie ihren Traumjob: als Spendenaktionsleiterin bei der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS). Sie organisiert Typisierungsaktionen, hält Vorträge und klärt auf. „lch treffe viele Menschen mit einem goldenen Herzen. Das kann man mit Geld nicht aufwiegen“, schwärmt sie. „Und alle meine Talente werden gebraucht: Menschenkenntnis, Organisationstalent, die Erfahrung mit Krebs.“ Ihre Ehe ist inzwischen zerbrochen, eine harte Zeit liegt hinter ihr. „Aber alles hat sich zu einer runden Sache gefügt. Ich prof?tiere von allem: der Kindererziehung, der Ausbildung, dem Beruf, dem Scheitern der Ehe. Rückblickend hatte alles seinen Sinn.“

Beate Stelzer (48)

Von der Krankenschwester zur Kapitänin


Als Beate Stelzer das Abitur machte, war sie 39 Jahre alt und hatte eine Ehe und 20 Jahre Berufserfahrung als Krankenschwester hinter sich. Ihr Gebiet: Intensivmedizin und Anästhesie, ein anspruchsvoller Job. Irgendwann hatte sie es satt, von manchen Ärzten nur als "Putzlappen" betrachtet zu werden. Heute steuert Beate Stelzer als Erster Offizier riesige Containerschiffe über die Weltmeere; über Ihr steht an Bord nur noch der Kapitän.

Die Törns auf See sind lang und anstrengend, aber die Arbeit bringt viel Abwechslung mit sich, sind doch immer wieder nautische, technische und personelle Entscheidungen zu treffen. Von "meinen Jungs" spricht Beate Stelzer, wenn sie die Mannschaft zum Entrosten, zum Malen oder zur Tankinspektion einteilt.

Dass die Seefahrerei nach wie vor eine Männerdomaine ist, brachte sie im Nautikstudium fast zum Aufgeben. "Wir waren nur zwei Frauen, und ein Teil der Studenten hat uns massiv gemobbt und beleidigt. Das war heftig", erzählt sie. Aber heute ist sie froh, damals durchgehalten zu haben. Denn wenn sie nachts auf der Brücke steht, unter ihr die schäumende Gischt, über ihr der Sternenhimmel, dann ist das ein erhabenes Gefühl: "Diese Macht zu haben: Das Schiff fährt jetzt so, wie ich es will. Man schwebt da oben und denkt: Ja, du hast schon eine ganze Menge erreicht", sagt Beate Stelzer.

Denn nun steht sie da, wohin sie sich als kleines Mädchen träumte, als sie bei der Tante in Travemünde den großen Schiffen hinterherstaunte. Sie hat ihr Ziel auf Umwegen erreicht. Aber: "Der Weg hat sich auf jeden Fall gelohnt, ich würde es wieder so machen."

Andreas Dürr (45)

Vom Banker zum Sportevent-Manager


Manchmal kommt man an einen Punkt, da wächst die Unzufriedenheit. Weil nicht alle Talente bedient werden, die in einem ruhen“, sagt Andreas Dürr. Bei ihm kam dieser Punkt mit Mitte 30. Da hatte er sich bereits vom Baggerfahrer zum Kundenbetreuer im Firmenkundengeschäft einer Bank hoch gearbeitet. Baggerfahrer, Ausbildung zum Bankkaufmann, Studium zum Bankbetriebswirt, Kundenberater – die Kurve zeigte stetig nach oben. Aber irgendetwas fehlte. Als junger Mann war Andreas Dürr Hochleistungssportler und powerte sich beim Rudern aus.

Später begann er in seiner Freizeit, Drachenbootrennen zu fahren und zu organisieren. Das machte ihm immer mehr Spaß, am Ende so viel, dass er beschloss, Drachenboot-Events für Firmen anzubieten. In seinem ersten Jahr als Selbstständiger peilte Andreas Dürr zwei bis drei größere Regatten an, tatsächlich organisierte er am Ende fünf.

Heute stellt seine Firma „Dragonboats Berlin“ bis zu 80 Veranstaltungen pro Jahr auf die Beine, darunter auch Stadtrallyes, Kanutouren oder Teambuilding-Aktivitäten. Routine gibt es kaum in seinem neuen Leben, und das schätzt Andreas Dürr: „Meine Ideen Wirklichkeit werden zu lassen, das erfüllt mich sehr“, sagt er. „Der Job macht mir einfach wahnsinnig Spaß!“ Und seine größte Sorge? „Das Wetter. Bei meinem ersten großen Outdoor-Event hatten wir 13 Grad – im Juli! Das hat mir damals schlaflose Nächte bereitet. Aber ich bin gelassener geworden.“

Petra Lochbaum (45)

Von der Industriekauffrau zur Designimporteurin


Petra Lochbaum hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. Sie interessierte sich schon immer für Kunst, Inneneinrichtung und Design, verschlang Einrichtungsmagazine. Sie liebt schöne Dinge - und lebt heute davon, schöne Dinge zu verkaufen.

Vor zehn Jahren machte sich Petra Lochbaum mit ihrem Design-Import „arts interior“ selbstständig. In den ersten Jahren reiste sie viel, spürte auf der ganzen Welt Produzenten auf und baute so ihr Sortiment auf: Keramikskulpturen aus Brasilien, Teppiche aus Kirgistan oder handgemachte Shwe-Shwe-Puppen aus Südafrika, deren Aussehen auf Kinderzeichnungen beruht. Fast alle ihre Produkte stammen von Zulieferern, die sich sozial engagieren. „lch will Produkte mit Seele verkaufen“, sagt Lochbaum. Bei ihrer Geschäftsidee kamen ihr die Vertriebs- und EDV-Kenntnisse aus ihrem alten Job zugute.

Nach der Ausbildung zur Industriekauffrau hatte Petra Lochbaum 16 Jahre lang im Vertrieb eines amerikanischen Chemiekonzerns gearbeitet. Ein berufsbegleitendes Marketingstudium lieferte ihr die nötigen Jobkenntnisse. Als dann ihr Arbeitgeber vor zehn Jahren scheidenden Mitarbeitern Abfindungen anbot, ging sie freiwillig. Ohne dieses finanzielle Polster hätte sie den Schritt in die Selbstständigkeit wohl nicht gewagt: „Am Anfang muss man natürlich investieren. Man braucht genug Gespartes, um ein bis drei Jahre überbrücken zu können, ohne viel zu verdienen.“ Ihr Mut wurde belohnt, das Geschäft läuft gut. Und sie genießt es sehr, ihr eigener Boss zu sein: „lch entscheide alles. Das ist eine große Verantwortung, aber auch eine große Freiheit.“

 

Heide Kuhlmann (41)

Von der Journalistin zur Forstingenieurin


Sie war eigentlich da, wo sie immer hingewollt hatte: eine leitende Funktion bei einer Autozeitschrift, gutes Einkommen, viel Verantwortung.

Dann wurde Heide Kuhlmann 2009 betriebsbedingt entlassen, zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren. „Da habe ich gedacht: Das mache ich nicht mehr mit“, sagt sie. „Ich hatte das Gefühl, die Arbeit saugt mir die Energie aus dem Körper.“

Im Berufswahlseminar besann sie sich auf die schönsten Momente ihrer Kindheit: Im platten Ostfriesland aufgewachsen, liebte sie es schon als Kind, durch das winzige Bauernwäldchen im Dorf zu streifen und Tiere zu beobachten. Försterin werden! Bloß eine Spinnerei? Mit 38 begleitete sie zum ersten Mal eine Försterin. Sie lernte, wie viel- seitig der Job ist: aufforsten, Wildbestand zählen, kontrollieren.

Inzwischen hat Heide Kuhlmann ihr Forstwirtschaftsstudium an der FH Göttingen als Jahrgangsbeste abgeschlossen. Ab Oktober beginnt ihr Anwärterdienst in Bayern, also die Praxisausbildung zur Forstingenieurin, die noch einmal zwölf Monate dauern wird. Dann erst ist sie am Ziel. Aber sie hat ihre Entscheidung bislang keine Sekunde bereut. Obwohl für Studiengebühren und Lebensunterhalt fast ihre gesamten Ersparnisse draufgingen. „Aber das Leben ist zu kurz, um es mit Dingen zu verbringen, die einen nicht glücklich machen.“ Und draußen sein, den herben Duft von Tannennadeln und feuchtem Laub einatmen, morgens um fünf im Wald dem Schmettern der Singdrosseln lauschen - das bedeutet für Heide Kuhlmann: Glück.