Was sagst Du der Berufsfee?

Was sagst Du der Berufsfee?

aus: Berliner Tagesspiegel, 25. Juni 2000

Frau Glaubitz, vor der Entscheidung für einen Beruf steht die Frage, ob der künftige Job auch zu den eigenen Interessen und Fähigkeiten passt. Braucht man für die Klärung dieser Frage eine Beraterin?

Leider ist es nicht immer so, dass der Berufswahl eine bewusste Berufsfindung vorausgeht – sei es vor dem Einstieg in das Erwerbsleben oder später, wenn man sich mal neu orientiert. Viele Menschen stecken in Jobs, die ich „Eltern-Berufe“ nenne. Das sind solche, von denen die Eltern immer gesagt haben, dass sie gut für einen sind. Beamter etwa, weil dann die Pension gesichert ist, oder Sekretärin, weil man in einem schönen Büro sitzen kann. Die Eltern haben bei diesen Vernunftgründen aber nicht berücksichtigt, ob ihre Wünsche dem entsprechen, was ihre Kinder machen möchten. Und schon wurden diese in einen Beruf gedrängt, den sie eigentlich gar nicht wollten. Der unverstellte Blick eines Außenstehenden kann da sehr hilfreich sein.

Die Eltern sind also schuld, wenn ihre Kinder im Beruf unzufrieden sind?

Natürlich nicht immer. Aber ich habe häufig mit solchen Biografien zu tun. Irgendwann im Alter zwischen 30 und 40 haben sich die Menschen dann so weit emanzipiert, dass sie zu ihren eigenen Wünschen stehen.

... und dann kommen sie zu Ihnen?

Genau. Dann ist häufig ein Punkt erreicht, an der die eigene Unzufriedenheit, der Leidensdruck, so stark geworden ist, dass sie einfach etwas ändern müssen. Wer in seinem Job auf Dauer unzufrieden ist, wird irgendwann krank, deprimiert, lustlos. Und wer sein Leben so nicht verbringen will, muss sich überlegen, was ihn wirklich antreibt und anschließend etwas ändern.

Und wie findet man heraus, was man wirklich machen will, ohne Gefahr zu laufen, sich wieder zu irren?

Ich glaube nicht, dass es in dieser Frage eine absolute Gewissheit gibt, erst recht nicht für den Rest des Lebens. Berufliche Biografien werden sich künftig immer mehr aus verschiedenen Phasen zusammensetzen. Denn einerseits hat sich der Arbeitsmarkt so entwickelt, dass man nicht mehr sein Leben lang nur einen Job haben wird. Andererseits entwickelt sich auch die Persönlichkeit eines Menschen im Lauf seines Lebens.

Welche Phase aber als nächste ansteht, kann man herausfinden?

Ja. Fragen Sie sich zum Beispiel mal, in welchen Situationen Sie in Ihrem Leben besonders motiviert gewesen sind, wann Sie überdurchschnittliche Energien entwickelt haben. Solche Situationen sind meist Hinweise auf Interessensgebiete, die ihnen wichtig sind und in denen Sie wirklich gern etwas machen möchten. Eine andere Möglichkeit ist auch, sich zu fragen ,,Was sagst Du der Berufsfee?“ – das heißt: Was würdest Du machen, wenn der Erfolg garantiert wäre?

Manchmal gibt es Grenzen. Nicht jeder kann Hochleistungssportler werden, auch wenn er das gern möchte.

Richtig. Aber man kann zum Beispiel Trainer werden. Es gibt immer 100 Gründe, die dagegen sprechen, etwas Neues anzufangen. Und damit ist man ja auch schon groß geworden. Was sagen Eltern denn üblicherweise, wenn sie hören, dass ihre Kinder Tänzerin oder Tierfilmer werden wollen? Die Standardantwort darauf hieß doch „ja, ja, aber daraus wird wohl nichts werden“ oder „sei doch mal realistisch“. Dabei gibt es jede Menge Möglichkeiten, seine Wünsche zu realisieren.

Ist das der Punkt, an dem man sich für eine Weiterbildung entscheidet?

Das kann der Punkt sein. Aber unter Weiterbildungen sollte man nicht nur die geförderten Arbeitsamt-Maßnahmen verstehen. Es gibt Bücher, Workshops, Seminare. Nicht jeder muss gleich ein Jahr Unterricht haben, um etwas Neues zu lernen. Und der beste Weg ist immer ,learning by doing’. Wenn Sie zum Beispiel Event-Manager werden wollen, können Sie gleich anfangen und die Feste Ihrer Bekannten organisieren. Wenn Sie so was ein paar Mal machen, lernen Sie mehr als in jedem Unterricht. Ich glaube, dass die meisten Menschen in eine Weiterbildung gehen, anstatt etwas zu machen – nicht um etwas zu machen.

Wer im Berufsleben steckt, hat aber nur begrenzte Möglichkeiten, sich eine neue Existenz aufzubauen. Wie kann so etwas quasi nebenbei glücken?

Auch da gibt es viele Wege. Man kann beispielsweise am Wochenende, im Urlaub oder nach Feierabend damit beginnen, seine Ideen auszuprobieren. So kann man auch ohne großes Risiko prüfen, ob die neue Entscheidung die richtige ist. Eventuell gibt es auch die Möglichkeit, seine Arbeitszeit zu reduzieren. Manchmal, in schlimmen Fällen, ist es aber richtig, zu kündigen. Wer zu stark unter seinem aktuellen Job leidet, muss sich davon befreien. Einige Menschen brauchen außerdem den Druck der Arbeitslosigkeit, um etwas Neues anzufangen. Aber das kann natürlich keine generelle Empfehlung sein.

Immerhin geht man mit einer Kündigung ein großes Risiko ein und gibt ein Stück Sicherheit auf. Können Sie das jemand anderem ruhigen Gewissens empfehlen?

So ein Schritt muss gut überlegt sein. Er muss aber nicht immer eine Bedrohung darstellen, sondern kann sich auch als Chance erweisen. Sicherheit ist doch die Sicherheit im Kopf, sich im Leben zurecht zu finden. Manchmal schnürt die vermeintliche Sicherheit den Menschen gerade die Luft ab, hindert sie, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Aber ein glückliches Leben ist doch eins, das ich selbst bestimme, oder?

Das Gespräch führte Roland Koch.