Wie man einen Beruf erfindet

Wie man einen Beruf erfindet

aus: Süddeutsche Zeitung, 6. April 2001

... und warum man über eine Bewerbungsmappe bestimmt keinen Job bekommt

Interessante Jobs wachsen nicht an Bäumen. Noch weniger allerdings findet man sie, indem man sich bewirbt. Oder glauben Sie, Verona Feldbusch, Marcel Reich-Ranicki und Rita Süssmuth hätten ihren Job durch ein gut formuliertes Anschreiben bekommen? Auch die Trainerin Vera Birkenbihl, der Tierfilmer Jacques Cousteau, der Börsenguru Friedhelm Busch oder wen auch immer Sie schon einmal heimlich um seinen Job beneidet haben - eins vereint sie: Vermutlich hat keiner von ihnen je eine Bewerbungsmappe verschickt.

Das meiste im Leben wird klarer, wenn man die Perspektive wechselt. Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten in einigen Jahren eine Literaturagentur, ein Seminarhaus oder ein Plattenlabel aufgebaut. Nun suchen Sie einen Assistenten, eine Assistentin, also jemanden, der Sie im Tagesgeschäft unterstützt. Was würden Sie tun? Vermutlich würden Sie zunächst einmal in Ihrem Gedächtnis kramen: Wen kennen Sie? Freunde, Bekannte, Studienkollegen, Leute, mit denen Sie in der Fachschaft aktiv waren oder die mit Ihnen zusammen ein Praktikum gemacht haben. Vielleicht ist Ihnen in den letzten Jahren jemand Interessantes über den Weg gelaufen: bei einer Konferenz, in einem Projekt, auf einer Party.

Niemand dabei? Erweitern Sie Ihre Suche: Wer könnte jemanden kennen, der jemand kennt? Eine Freundin arbeitet in einem Verlag - vielleicht haben die dort pfiffige Praktikanten. Ein ehemaliger Studienkollege hat viel mit Freiberuflern zu tun - vielleicht ist ihm dort jemand mit guten Ideen und Verantwortungsbewusstsein untergekommen. Oder Ihr ehemaliger Professor, Ihr Rechtsanwalt oder Ihr Ortsvereinsvorsitzender hat einen Tipp.

So weit zur Suche nach guten Mitarbeitern. Doch was heißt das nun umgekehrt für Sie als Bewerber? Es bedeutet: Das Wichtigste bei der Arbeitsplatzsuche sind Kontakte. Wenn Sie einen interessanten, vernünftig bezahlten Job suchen, müssen Sie auf sich aufmerksam machen und dafür sorgen, dass andere Ihnen etwas zutrauen, Sie sympathisch finden und weiterempfehlen. Das gilt nicht nur für Internet-Startups, Greenpeace oder die Medienbranche. Selbst Timo Bierbaum mit Personalverantwortung beim Münchener Hightech-Unternehmen Infineon sagt: „Es gibt einen einzigen Weg, gute Mitarbeiter zu finden: Indem ich meine guten Leute frage, ob sie jemanden kennen.“

Die Einschätzung ist nachvollziehbar: Schließlich geht der Arbeitgeber mit einer Neueinstellung ein erhebliches Risiko ein. Wie lange, glauben Sie, würde ein inkompetenter Mitarbeiter benötigen, um Ihre Agentur, Ihr Seminarhaus oder Ihr Plattenlabel zu ruinieren? Sechs Wochen? Drei Monate? Kein vernunftbegabter Unternehmer stellt daher ohne Not neue Mitarbeiter ein, die er nicht kennt und die ihm noch nicht einmal empfohlen wurden.

Wenn Arbeitgeber also zunächst in ihrem Umfeld nach neuen Mitarbeitern Ausschau halten, kann das für Sie als Arbeitssuchenden nur eins heißen: Sie müssen der Welt zeigen, dass Sie da sind. Damit ist nicht unbedingt gemeint, dass Sie in einer Fernsehshow mit hoher Quote auftreten, um coram publico Ihr Engagement zu verkünden. Viel schlauer ist es, sich über die fachliche Schiene bekannt zu machen.

Und das geht so: Wenn Sie Eventmanagerin werden wollen, besuchen Sie nicht eine Weiterbildungsmaßnahme Eventmanagement. Gehen Sie auf keinen Fall in ein Bewerbungstraining für Berufe in der Veranstaltungsbranche. Und schicken Sie auch keine Initiativbewerbung an alle Eventagenturen. Das einzig Richtige für Sie: Veranstalten Sie ein Event! Möglichkeiten und Gelegenheiten gibt es genug. Sie können einen Tag der offenen Tür in Ihrer Partei, einen Mädchentag in Ihrer ehemaligen Schule, das Jubiläum Ihres Rudervereins oder ein Straßenfest in Ihrem Kiez veranstalten.

Genau dasselbe gilt für alle anderen beruflichen Einsatzfelder: Wenn Sie Motivationstrainer werden wollen, freut sich Ihre Arbeitsgemeinschaft oder Ihre Laufgruppe über eine erste Probe Ihres Könnens, später vielleicht die Volkshochschule. Wenn Sie Fernsehkoch werden wollen, starten Sie Ihre ersten öffentlichen Kochversuche im Offenen Kanal oder per Webcam im Internet. Dort können Sie gleich ein dazu gehöriges digitales Kochbuch vermarkten, vielleicht zum Thema Kochen für Philosophen oder Kochen wie im Mittelalter. Wenn Sie Kinderbuchautorin werden wollen, füllen Sie vielleicht eine Website www.fürerwachseneverboten.de mit Leben.

Gut und schön, sagen Sie jetzt vielleicht. Aber ist das nicht alles ein bisschen kompliziert? Führen Stellenanzeigen nicht auch zu einem Ergebnis? Natürlich: Wenn die Suche über das eigene Netzwerk nichts hilft, schaltet ein Arbeitgeber – meistens der Verzweiflung nahe – sogar eine Annonce. Können Sie sich vorstellen, was dann passiert?

Sie haben es erraten: Auf eine Anzeige „Suche Mitarbeiter für Literaturagentur“ melden sich etwa 200 Bewerber. Werden Sie – wenn Sie sich noch einmal in die Rolle des Arbeitgebers versetzen – die Zeit haben, den Berg von Unterlagen anzugehen? Eher nicht, denn schließlich suchen Sie ja genau deswegen Unterstützung.

Irgendwann beginnen Sie trotzdem, die Umschläge zu öffnen. Spätestens nach dem zehnten Lebenslauf verlieren Sie die Lust, sich damit zu beschäftigen, wer was studierte (Germanistik, Theaterwissenschaft, dann zu BWL gewechselt oder umgekehrt), wer wo Praktika machte (Redaktion, Hausverwaltung, Werbeagentur) und wer als Hobby etwas anderes als Schwimmen und Lesen vorweisen kann. Vermutlich spüren Sie sehr bald einen Impuls: alles in Ablage P, Destination Papierkorb.

Vielleicht – wenn Sie einen guten Tag haben – schauen Sie noch einmal die Fotos durch. Auf den meisten können Sie immerhin erkennen, ob es sich um Männchen oder Weibchen handelt und ob er oder sie eine Brille trägt. Irgendwie entscheiden Sie sich für fünf Kandidaten. Persönliche Begegnungen kosten schließlich Zeit – und Nerven. Vor allem, wenn sich bereits in den ersten Minuten oder gar Sekunden herausstellt, dass zwar die Angaben in der Bewerbungsmappe tatsächlich zutreffen, die Chemie aber überhaupt nicht stimmt. Diese Frustration können sich Bewerber und Arbeitgeber sparen. Sie müssen sich nur ab und zu in die Lage des anderen versetzen. Und dann gehen Sie folgende Schritte:

Erstens: Klären Sie, was Sie am Arbeitsmarkt überhaupt wollen. Wenn Sie es nicht wissen, fangen Sie auf keinen Fall an, Bewerbungen zu verschicken. Überlegen Sie statt dessen, was Ihnen Spaß macht und was das für Ihre beruflichen Wünsche bedeutet.

Zweitens: Finden Sie heraus, welche Erfahrungen, Stärken und Qualifikationen Sie in dem angestrebten Tätigkeitsfeld einbringen können.

Drittens: Zeigen Sie, was in Ihnen steckt. Beginnen Sie damit, Ihre Stärken und Erfahrungen in ein Projekt einzubringen. Organisieren Sie einen Literatursalon, eine politische Podiumsdiskussion oder eine Off-Modenschau. Laden Sie zum Schnupper-Survivalkurs, managen Sie eine Band und publizieren Sie einen Artikel über das kurze, aber heftige Leben eines japanischen Dichters und geben Sie eine Kostprobe Ihrer Übersetzungskünste.

Wenn man bei Ihrem Projekt die Begeisterung spürt, werden Sie auch Job-Angebote bekommen. Arbeitgeber registrieren sehr wohl, wer eigene Aktivität an den Tag legt und wer nur einen Versorgungsplatz sucht. Erwarten Sie allerdings bei den ersten Gehversuchen nicht gleich Glamour und Riesenerfolg. Nach dem Spaß an der Sache ist ein ausgeprägtes Durchhaltevermögen der zweite Teil der Miete.