Wie man Pippi Langstrumpf für seine Karriere nutzen kann

Wie man Pippi Langstrumpf für seine
Karriere Nutzen kann

aus: BerufSZiel, Süddeutsche Zeitung, 18. Februar 2006

Sind wir nicht alle ein bisschen Pippi Langstrumpf? Ein bisschen unkonventionell, draufgängerisch und humorvoll? Oder halten wir doch lieber den Mund, schließen noch eine Versicherung ab und trutschen zum Yogakurs? Auch wenn wir an Pippi bewundern, dass sie so frech ist. Denn in die Tasche steckt sie alle: den starken Gustav, Fräulein Prüsselius, Donner-Karlsson und Blom.

Doch mit ihrem Selbstbewusstsein will sie nicht die Beste sein. Als Softskills eines High Potentials hat Pippi bestenfalls Pfannkuchenweitwurf und Feiern zu bieten. Sie ist keine Streberin, kein Goldfisch und noch nicht mal ein Talent. Aber sie kann Pferde stemmen.

Mit Annika dagegen möchte man noch nicht einmal Pferde stehlen. Sie passt besser zu Yoga und Pilates. Hauptsache gepflegt. Sie ist hübsch und vorsichtig, nett, aber angepasst. Damit ähnelt Annika eher der deutsch-schweizerischen Dreifaltigkeit aus Heidi Alm-Öhi, Heidi Kabel und Heidi Klum. Harmlos, spießig, sauber – das ist gut fürs Vorzimmer, aber schlecht für die Zukunft. Denn für die braucht es in den Unternehmen vor und in den Alpen keine Mitläufer, Duckmäuser und beamtigen Typen. Und selbst wenn? Wäre das Ihre Vorstellung vom Leben?

Falls nicht, sollten Sie überlegen, wie man ein bisschen mehr Pippilotta und ein bisschen weniger Annika aus sich machen könnte. Folgende Maßnahmen wären unmittelbar umsetzbar.

Erstens: Freunde, die einen runter ziehen, auf Distanz halten.

Zweitens: Neue Freunde suchen, die einen unterstützen.

Drittens: Sich ein Hobby zulegen, das spielerisch und schnell Erfolgserlebnisse bietet.

Viertens: Den nächsten Termin beim Versicherungsvertreter absagen.

Fünftens: Kommunikationstrainings machen.

Sechstens: In seine Angst hineingehen (Wer Angst vorm Fliegen hat: Fallschirmspringen; wer Angst vorm Singen hat: Gesangsstunden nehmen).

Siebtens: Falls vorhanden – Abos von Frauen- und Männerzeitschriften kündigen.

Sie brauchen achtens keine Diät, keinen Klatsch und keine Kochrezepte.

Schmeißen Sie neuntens Ihre Waage auf den Müll, bewundern Sie sich selbst und nicht die Stars; und überlassen Sie das Kochen Leuten, die dafür bezahlt werden.

Vielleicht zucken Sie jetzt zusammen. Das macht aber nichts. Wer mit Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstocher Langstrumpf paktieren will, muss sich daran gewöhnen. Immerhin schlafen laut Pippi die Leute in Guatemala mit den Füßen auf dem Kopfkissen, Ägypter gehen nur rückwärts und Inder nur auf den Händen. Dass jemand engagiertes Liebsein für karriereförderlich hält, wird Pippi also nicht beeindrucken. Und sie hat Recht. Denn Leute, die Erfolg haben, sind oft alles andere als perfekt. Perfekt ist sowieso immer nur die Dekoration ...

Pippi Langstrumpf dagegen leistet sich ein Gesicht voller Sommersprossen, eine Zahnlücke und viel zu große Schuhe. Das hindert sie aber nicht daran, ein starker Mensch zu sein und ihren Weg zu gehen. Im Gegenteil! Wie viel Energie hätten Sie übrig, wenn Sie keinem Ideal mehr zwischen Powerpoint und Poweryoga hinterher liefen! Wie viel Zeit hätten Sie für Ihre wichtigen Projekte: Endlich Ihren Job zu wechseln, endlich Ihr erstes Buch zu veröffentlichen, endlich eine politische Kampagne zu starten oder endlich eine Weltreise zu machen.

Während zwischen Uppsala und Malmö Frauen Unternehmen managen und Bosse nicht angeben, gucken wir, wie Frauen in der Bräuteschule Kinder, Kirche und Küche neu lernen. Kein Trash auf RTL 2, sondern die neue Kulturserie der ARD. Finanziert von Ihren und von meinen Gebühren. Es ist zum Messerwetzen. Und zu tun gibt es sowieso genug. Vielleicht sollte Ihr Karriere-Motto für dieses Jahr – und das ist zehntens – lieber lauten: Du bist nicht Deutschland! Du bist Schweden!