Berufswechsel Keine Angst vor neuen Ufern

Berufswechsel Keine Angst vor neuen Ufern

aus: Karriere/Handelsblatt, 28. Januar 2005

Manchmal wacht Sybille Heyms nachts schweißgebadet auf: „Ich bin verrückt geworden!" Fünf Jahre lang hat die Hamburger Juristin „gestrampelt, um meine Kanzlei ans Laufen zu bringen". Hat sich im Bereich Internet und gewerblicher Rechtsschutz einen Namen gemacht, ein Traumteam um sich und seit einigen Monaten einen klasse Sozius. Und jetzt steigt die 38-Jährige aus. Will Regisseurin werden. „Ich weiß, dass ich damit viele Leute schockieren werde." Aber die Sybille, die sich früher gerne in heißen Debatten gemessen hat, ist müde vom Streiten, dürstet nach Kreativität. „Plötzlich spürte ich: Es zieht mich woanders hin. Ich wusste nur noch nicht, wohin."

Beim Zappen durchs Freitagabend-Programm bleibt die Anwältin an einem Gespräch zwischen TV-Moderatorin Bettina Böttinger und der Berufsfindungsberaterin Uta Glaubitz hängen. Heyms meldet sich zu einem Glaubitz-Workshop an und gräbt im Kreise von jobmüden Unternehmensberatern und Apothekern ihre alte Faszination fürs Filmgenre aus: David Lynch, Ridley Scott, von Mulholland Drive bis Alien. „Da stand ich nun: Was fange ich damit an?" Heyms stürzt sich in ihrer Kanzlei zunächst auf die Sparte Film- und Musikrecht. Doch schon nach zwei Seminaren an der Mallorca Film Academy ist die Anwältin „infiziert", will endlich selbst „hinter der Kamera stehen". Und weil „halb Regisseurin werden" nicht geht, startet die allein erziehende Mutter 2005 komplett neu: Praktika machen, Ausbilder suchen – „keine Filmhochschule wartet auf eine 38-Jährige" – , eine Produktionsfirma gründen. „Ich will meine Geschichten erzählen. Gegen diese Leidenschaft zu leben: Das wäre wirklich verrückt.

Fragen zum Traumberuf

Die Fragen stellte Liane Borghardt

Studium fertig, fest im Job – plötzlich merke ich, ich will was ganz anderes tun. Wie finde ich heraus, was?

UTA GLAUBITZ: So was fällt einem nicht unter der Dusche ein. Besser, man sucht nach Hinweisschildern in der eigenen Biografie: Wo habe ich mit Wonne eine Nacht durchgearbeitet, die Zeit vergessen? Oder: Was wollte ich früher einmal werden? Die Antworten zeigen, wo Herz im Spiel ist.

Und dann den Frustjob einfach hinschmeißen?

Wenn er unerträglich ist, ja. Das ist wie mit einer Beziehung: Wenn man nicht mehr zusammenpasst, sollte man sich trennen. Natürlich lässt sich auch neben dem aktuellen Job etwas Neues aufbauen: Gesangsstunden nehmen, einen Internetauftritt gestalten, an einer Erfindung basteln oder sich in der Entwicklungshilfe engagieren.

Wirtschaftlicher Druck und Traumjob - passt das zusammen?

Gerhard Schröder und Wolfgang Clement taugen nicht als Ausreden, in einem Job zu bleiben, der einen unzufrieden macht. Der wahre Grund ist oft Angst vor dem Neuen. Aber wenn man eine Sache emotional lösen kann, gibt es auch einen praktischen Weg. Und man braucht sich mit 90 nicht zu sagen: Ich wollte ja Entwicklungshelfer werden. Doch ich saß mein Leben lang frustriert im Büro.