Von der Bankerin zur Geschichtslehrerin

Von der Bankerin zur Geschichtslehrerin: Susan aus Jena

Susans bisherige berufliche Laufbahn hat viel mit der DDR zu tun: Gegen Ende ihrer Schulzeit will sie Lehrerin für Geschichte und Deutsch werden. Doch im Erfurt der 1980er Jahre hätte das bedeutet: die Geschichte des Sozialismus und der sozialistischen Bruderstaaten nach 1945. Das aber will Susan auf keinen Fall, das entspricht weder ihren beruflichen noch ihren intellektuellen Ansprüchen. Sie interessiert sich mehr für die Errungenschaften der alten Römer als für die des Sozialismus.

Frustriert lehnt sie die Möglichkeit ab, Abitur zu machen und nimmt stattdessen aus Berufstrotz das Erstbeste, was sich anbietet: eine Ausbildung zur Facharbeiterin EDV. Das war Susans Job in der DDR.

Die Geschichte bleibt nicht stehen, und Susan auch nicht - schon gar nicht beruflich. Nach der Wende geht sie als Quereinsteigerin zur Bank. Neben dem Beruf macht sie ihren Abschluss als Bankkauffrau nach und anschließend einen Abschluss in BWL an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie. Aber berufliche Zufriedenheit will sich immer noch nicht einstellen.

Mit 38 Jahren kommt Susan zur Berufsberatung. Zu dieser Zeit ist sie verheiratet und hat einen 9jährigen Sohn. Danach steht fest: Susan wird ihren Job wechseln, ihren alten Berufswunsch wieder aufnehmen und auf Lehramt studieren.

Die ersten Schritte sind nicht vielversprechend: Die Studienberaterin der Uni meint, in ihrem Alter wäre sie mit einem Studium sicher total überfordert. (Kleine Anmerkung: Leider geht es vielen Berufswechslern so, dass sie zwar Hilfe von unerwarteter Seite bekommen. Leider aber oft nicht von der Studienberatung.) Auch ihr Mann ist der Meinung, sie würde das sowieso nicht schaffen. Ein Antrag auf BAföG wird abgelehnt.

Doch der Berufswind dreht sich: Susan legt beim BAföG-Amt Widerspruch ein, dem wird stattgegeben. Sie bewirbt sich für ein Begabtenstipendium und erhält den Zuschlag. Die Universität Jena erkennt ihren BWL-Abschluss als Zulassungsvoraussetzung an (wie ein Abitur). Ein knappes Jahr nach der Berufsberatung ist die Berufswechslerin Studentin für Geschichte und Deutsch auf Lehramt. Einen Nachmittag in der Woche arbeitet sie noch in der Bank. Ihr Sohn hat von sich aus eine Taschengeldkürzung angeboten.

Ihre erste Hausarbeit an der Uni wertet der Dozent als „eine intellektuell scharfsinnige, gut geschriebene und sehr textnahe Auseinandersetzung“ – Note 1,0. Von wegen "total überfordert" …

Susan schließt ihr Studium ab, ihre Berufsberaterin liest die Abschlussarbeit über die politische Dichtung der Staufer Korrektur. Dann stemmt Sie ihr Referendariat und das 2. Staatsexamen. Als nächster Schritt im neuen Beruf geht Susan an ein Internat im niedersächsischen Holzminden. Ihr Sohn kommt mit und macht auf dem Internat sein Abitur. Kinder sind bei Berufswechseln oft kooperativer als gedacht.

Danach wechselt Susan nach Berlin. Nach Stationen in Spandau und Buch geht sie ans Jüdische Gymnasium Moses Mendelsohn in Berlin-Mitte.